Mittwoch, 15. Februar 2017

Sonne

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Heute Morgen fuhr ich durch die weiß bereifte ostholsteinische Landschaft nach Oldenburg zur jährlichen Zahnreinigung. Ich fuhr in den Sonnenaufgang hinein, sah wie der riesige orange leuchtende Stern über den Horizont stieg und fühlte eine große Dankbarkeit für die Schönheit und die Magie, die mich umgibt. In der Zahnarztpraxis war es hell und freundlich wie immer, wir lachten über irgendwas.Auf dem Heimweg kaufte ich in Lütjenburg auf dem Wochenmarkt ein ziemlich leckeres Croissant - Erinnerung an meine vielen Frankreich-Aufenthalte. Im Radio hörte ich, daß das Land Schleswig-Holstein beschlossen hat, keine Geflüchteten aus Afghanistan abzuschieben.
Zu Hause gab es Frühstück und einen Artikel von Stephen Buhner über "Deep Diagnosis in the Practice of Sacred Plant Medicine".
Als die Sonne direkt auf die TBHs schien, fingen die Bienen an zu fliegen. Am schönsten ist das Summen!
Nachmittags ging ich nach Selent und erfuhr von einer meiner Schülerinnen aus Afghanistan, daß ihre Familie den Asylantrag bewilligt bekommen hat. "I'm very happy", sagte sie.
Was für ein schöner Tag!
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Ach, und Jan Koberstein vom Schmoeler Hexenstein hat was geschrieben, was mir gut gefällt:
http://www.hexenstein-schmoel.de/index.php/essays

Montag, 13. Februar 2017

Verständigung

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Früher habe ich geglaubt, je präziser ich mich ausdrücke, desto besser werde ich von anderen Menschen verstanden. In den letzten ein, zwei Jahren meiner zweiten Ehe schien keine Verständigung mehr möglich: was ich sagte, wurde auf eine Art und Weise aufgenommen und wiedergegeben, die nichts mit dem zu tun hatte, was ich gesagt hatte. Es war, als sprächen wir zwei völlig unterschiedliche Sprachen. Das brachte mich zur Verzweiflung, und irgendwann resignierte ich. Es war für mich umso schlimmer, als ich meinen Ex-Mann lange Jahre als einen erlebt hatte, der ein feines Gespür für Untertöne und Ungesagtes hatte und ich fühlte mich oft sehr verstanden. Das war alles vorbei.
Natürlich weiß ich, daß wir auf viel mehr Ebenen als der des Hörens von Worten wahrnehmen und daß Körpersprache, Stimme, Blick und Ausstrahlung eine viel größere Rolle spielen als Sprache.
Ich bin sehr fasziniert, wie meine Katze sich verständlich macht. Sie hat ein sehr feines Stimmchen, mit dem sie mir klar macht, daß sie den Napf gefüllt bekommen möchte, daß ihr das angebotene Essen nicht genehm ist oder daß ich ihr die Tür öffnen soll. Manchmal sitzt sie vor mir und sieht sie mich nur an, dann weiß ich, daß es Zeit für einen Schluck Sahne ist.
Neulich telefonierte ich mit meiner Tochter und wollte ihr etwas aus einem Buch vorlesen. Ich fing an, und Skadi kam, setzte sich auf die Seite und sah mich an. Ich schob sie zur Seite und fing wieder an zu lesen. Skadi setzte sich erneut auf die Seite und sah mich an: du sollst dich jetzt mit mir befassen.
Später saß ich am Laptop und Skadi setzte sich auf meinen Schoß. Dann sprang sie auf die Tastatur und ließ sich dort ganz gemütlich nieder. Das Bild drehte sich auf die linke Seite.
Jetzt fühlte ich mich genötigt, mich ihr gegenüber klar zu äußern. Ich schimpfte und setzte sie auf den Boden. Dann brauchte es einige Zeit und die telefonische Hilfe meiner Tochter, das Bild wieder so zu drehen, daß ich es ohne schief gelegten Kopf erkennen konnte.
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Montag, 6. Februar 2017

Verheißung

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Als ich am Lichtmessmorgen in die Landschaft schaute und alles so still und schön und friedlich war, tauchte plötzlich der altmodische Begriff "Verheißung" auf. Der schien auch heute wieder zu passen: es war kalt, ich fror, verließ aber dennoch meinen warmen Platz am Ofen und machte einen Gang durch die Februarlandschaft. Auch wenn die Sonne scheint und die Tage schon deutlich länger sind, sind für mich die Monate Januar und Februar immer die wahren Wintermonate. Jetzt scheint die Kälte noch mal anzuziehen, die Bäume sind noch kahl. Aber die Haseln blühen, die männlichen Kätzchen sind weit geöffnet und schwingen im Wind.
Am Wochende war ich zum Permakultur-Seminar in Hamburg. Es war anstrengend, weil ich müde war (nur fünf Stunden Schlaf in beiden Nächten). Ich ärgerte mich, weil ein Teilnehmer sich zur christlichen Religion bekannte und gleichzeitig alle anderen Religionen als unterlegen bezeichnete. Da konnte ich mir nicht verkneifen ihn "totalitär" zu nennen. Heute denke ich: lass ihn doch reden. Es gab auch sehr schöne Begegnungen, jenseits der Worte, jenseits der Weltanschauungen, eine Umarmung, in der ich plötzlich mein Herz fühlte. Da wusste ich wieder, was wirklich wichtig ist.
Auf der Rückreise im Regionalzug ging der Schaffner an mir vorbei, drehte sich plötzlich um und lächelte mich an.

Man meint ja, daß man keine Mäuse hat, wenn eine Katze im Haus ist. Bei mir ist es umgekehrt. Skadi bringt gern ihre Fänge ins Haus und isst sie in der Küche auf dem Flickenteppich. Morgens finde ich dann die Reste. Manchmal lässt sie die Mäuse auch leben, und dann höre ich sie hinterm Küchenschrank. Eine solche Maus lebte seit einigen Tagen in meiner Wohnung. Ich entdeckte, daß sie Fleischbrocken aus Skadis Futternapf in einen Winkel zwischen Backbrett und Wand schleppte und dort in Ruhe aß. Später hörte ich im Schlafzimmer die zweite unter meinem Bett rascheln. Skadi hatte keinerlei Ehrgeiz, sich um die ungebetenen Gäste zu kümmern. Ich fand, daß eine Maus, die sich so selbstverständlich am Futternapf der Katze bedient und vor meinen Augen im Badezimmer herumspaziert, verdient hat zu leben. Eine konnte ich mit einem Handtuch fangen, die andere Stunden später, als sie in Skadis Napf saß, mit einem großen Sieb, das ich darüber stülpte. So konnte ich beide raussetzen.
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Mittwoch, 1. Februar 2017

Ablegen

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Danke, liebe Evelyn, für den schönen Link! Alle diese schönen Frauen auf ihrem gemeinsamen Friedensmarsch!

In der Nacht nach unserem Lichtmessritual am Samstag kam ich zu der Entscheidung, daß ich die Jahreskreisfeste nicht mehr in dieser Form feiern werde, wie ich es seit vielen Jahren gemeinsam mit anderen Frauen mache. Es ist gerade im letzten Jahr immer schwieriger geworden, Termine zu finden, mit denen alle zufrieden waren. Mein Schichtdienst und jetzt auch noch die Permakultur-Ausbildung besetzt die allermeisten Wochenenden. Ich fand mich nach und nach als Alleinverantwortliche dafür, daß überhaupt noch Vorbereitungen stattfanden. Das gefiel mir gar nicht.
Ein Gespräch nach unserem Ritual brachte keine Lösung. Ich haderte mit dem Verhalten der Anderen und mit meinem Pflichtbewusstsein. Und am Morgen wusste ich dann: ich will keine Planungen mehr, ich fühle mich schon länger nicht mehr mit dem Ablauf unserer Rituale wohl, sie stimmen so nicht mehr für mich. Ich habe ein enormes Bedürfnis nach freier Zeit, in der sich spontan etwas ereignen kann. Ohnehin habe ich seit einiger Zeit die transformierende Energie der Jahreskreistage am deutlichsten ganz allein in der Natur spüren können.
Nachdem der Entschluss gefallen war, war ich so froh und erleichtert und haderte mit niemandem mehr. Die ganzen Nervereien der letzten Monate schienen genau darauf hinzuweisen, daß mal wieder etwas abgelegt werden wollte.
Fröhlich fuhr ich am Sonntag zum De Immen-Treffen nach Lübeck. Einer der Teilnehmer vertrat die Ansicht, daß es die Aufgabe des Menschen sei, die Erde zu retten. Ich mag diesen Mann und weiß, daß er die Erde liebt und als Bauer alles tut, um sie gut zu behandeln. Dennoch musste ich an dieser Stelle widersprechen. Wer sind wir denn, daß wir meinen, wir müssten die Erde retten? Die Erde ist ein lebender Organismus, der um ein Vielfaches älter ist als die menschliche Gattung. Sie wird sich schon regenerieren. Wir Menschen aber können höchstens unseren eigenen Arsch retten, und wenn wir das ernsthaft vorhaben, haben wir alle Hände voll zu tun. Außerdem steht uns - finde ich - Bescheidenheit gut zu Gesicht angesichts all der vielen Arten, die schon viel länger da sind als wir. Im Übrigen: wissen wir eigentlich wirklich, was die Erde will und braucht?
Die Erfahrung zeigt doch, daß fast überall da, wo Menschen regulierend eingreifen, nachhaltige Zerstörung die Folge ist: das zeigt sich besonders krass in der Imkerei, die gemeinsam mit der modernen Landwirtschaft dafür gesorgt hat, daß die Bienen verschwinden. Es war erschreckend zu hören, wie viele Imker in den letzten Monaten einen Großteil ihrer Völker verloren haben.
Für mich heißt es: noch aufmerksamer im Kontakt mit den Bienen sein, noch weniger eingreifen, noch mehr darauf vertrauen, daß sie am besten wissen, was sie brauchen, mir Zeit nehmen zu hören, zu spüren, zu lernen.
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Sonntag, 22. Januar 2017

Women's March on Washington

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Die vielen schönen Videos vom Women's March im Netz und die Berichte darüber im Radio haben mir heute schon viel Freude gemacht: so viele Frauen und auch Männer auf den Straßen gegen Sexismus und Rassismus - wow!! Besonders gut gefiel mir der Slogan "Pussy grabs back!" als Reaktion auf Trumps dämlichen Spruch über das, was ein Geldsack wie er mit Frauen anstellen kann.
Am meisten hat mich an diesem Protest das Bunte, das Lustvolle, das Närrische gefallen, etwa die rosa Mösenmützen ("Pussyhat" wird in seiner Doppeldeutigkeit treffender mit "Muschimütze" übersetzt, aber ein paar Frauen hatten sich tatsächlich niedliche kleine Plüschmösen auf ihre Pussyhats geheftet). Protest muss Spaß machen, sonst kann eine ihn auch sein lassen, finde ich. Das Ganze hat mich ein wenig an den Pariser Mai von 1968 erinnert. Eine seiner Parolen war: La fantaisie au pouvoir - die Phantasie an die Macht!
Ja, Phantasie braucht es, damit wir eine neue Geschichte vom Menschsein und vom guten Leben erzählen können.
Weiter so, ihr amerikanischen Frauen und Männer!

Samstag, 21. Januar 2017

Selbstbewusstsein

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Neulich ging es darum, ob es zu verantworten sei, Kritik an einer Person zu üben. Ich gehörte zu der Fraktion, die sagte: "Ja, unbedingt. Ich möchte auch gern, daß ihr mir gegenüber mit Kritik nicht hinterm Berg haltet." "Ja du" sagten einige, "du hast ja auch ein Selbstbewusstsein von 200 %."
Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Äußerung als Anerkennung nehmen kann. Auf jeden Fall musste ich in den folgenden Tagen öfter daran denken.
Was ist denn überhaupt Selbstbewusstsein? Selbstbewusst nennen wir doch solche, von denen wir das Gefühl haben, sie stehen sicher im Leben. Aber wenn ich den Begriff im Wortsinn nehme, heißt es: ich bin mir meiner selbst bewusst, ich kenne meine Stärken und Schwächen, ich habe ein Bewusstsein meiner Entwicklung bis jetzt. Und es heißt für mich auch, daß ich meinen Körper gut wahrnehmen kann, meine Atmung, meine Bedürfnisse, meine Zuneigungen, meine Abneigungen. Nach dieser Definition bin ich selbstbewusst. Und ja, ich fühle mich als eine, die sicher im Leben und zu sich selbst steht.
Das war aber nicht immer so. Die ich jetzt bin, bin ich geworden. Zwischen früher und jetzt liegt ein langer Weg mit vielen Stolpersteinen, vielen Fehlern, vielen Erinnerungen an Handlungen und Unterlassungen meinerseits, die von meinem heutigen Standpunkt aus voll daneben, rücksichtslos, selbstbezogen, voller blinder Flecken waren. Und mit Sicherheit werde ich in zwanzig Jahren auf heute zurückblicken und da auch das eine oder andere finden, was mir nicht gut gefällt.
Als ich in die Pubertät kam, wollte ich ein perfekter Mensch sein. Ich sah die Ecken und Kanten der Erwachsenen, ertappte sie bei Feigheiten und Lügen; da wollte ich auf jeden Fall besser sein. Wenn mich dann eine*r mit meinen Fehlern konfrontierte, fühlte sich das schnell wie Vernichtung an.
Ich will schon lange kein perfekter Mensch mehr sein. Was soll das übrigens sein: perfekt? Vielleicht gibt es die perfekte Welle, aber wohl keinen perfekten Menschen.
Ich freue mich nicht unbedingt über Kritik, aber ich kann sie mir mittlerweile anhören, ohne mich in Frage gestellt zu fühlen. Und irgendwas lerne ich immer daraus.
Eine junge Kollegin hat mir vor einigen Jahren mal mein gelegentlich autoritäres Verhalten vorgeworfen: das war nicht schön für mich, aber sie hatte Recht, und ich bin ihr dankbar für ihren Mut.
Sicher ist es leichter, sich Kritik anzuhören und auf sich wirken zu lassen, wenn sie mit einem grundlegenden Wohlwollen geäußert wird.
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Sonntag, 15. Januar 2017

Auto

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Mein treues kleines Auto ist nicht durch den TÜV gekommen. Es hat mich fünfzehn Jahre gut begleitet, mittlerweile stolze 286000 km auf dem Tacho. Dieses Auto ist das beste gewesen, das ich jemals gefahren habe - ein Seat Arosa, identisch mit dem VW Lupo, nur preiswerter als letzterer. Ich habe eine Nacht lang überlegt, ob ich die Mängel in Ordnung bringen lasse, und mich letztlich dagegen entschieden, weil ich fürchte, daß jetzt eine Reparatur nach der anderen kommen wird. Ärgerlich fand ich, daß in diesem Jahr ein winzig kleiner Riss in der Frontscheibe, auf die mal ein Stein geflogen ist, als gravierender Mangel eingestuft wurde. Vor zwei Jahren hat der TÜV-Sachverständige ihn zwar auch bemängelt, aber den Wagen doch noch durchgewinkt. Dieser Riss behindert meine Sicht nicht im mindesten, und eine neue Scheibe würde 600 Euro kosten. Wie auch immer: ein neues Auto ist fällig, da ich leider nicht ohne auskomme, solange ich mein Geld in Kiel verdiene.
Aus Harald Welzers Buch Selbst denken habe ich erfahren, wie die Schweizer Bahn funktioniert. Sie fährt so oft, so zuverlässig, so preisgünstig, so auf andere Verkehrsmittel abgestimmt, daß es sich für sehr viele Schweizer gar nicht lohnt, ein Auto kaufen. Sie fahren lieber stressfrei mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Da können wir in Deutschland nur von träumen. Übrigens erinnere ich mich dunkel, daß die Bahn in Deutschland auch mal ziemlich gut war. Da hieß sie noch Deutsche Bundesbahn, und es gab noch keine Idioten, die meinten, sie müssten mit dem Unternehmen an die Börse. Als Herr Mehdorn dann der Chef des Ganzen wurde, ging es mit der Qualität bergab. Das Einzige, was ich heutzutage an der Bahn noch richtig gut finde, ist das Personal: fast immer freundlich und humorvoll, obwohl diese Leute die ersten sind, die beschimpft werden, wenn es wieder mal nicht glatt läuft.
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Trotz allem bin ich am Wochenende mit der Bahn nach Münster zu meiner Mutter gefahren und habe einer Eingebung folgend für ziemlich viel Geld einen Sitzplatz reserviert. Das war gut, weil der Zug ab Kiel bereits voll war. Viele Leute haben vom Auto auf dem Zug umgesattelt wegen des vorhergesagten Orkans.
Meine Mutter wird in wenigen Monaten neunzig Jahre alt. Ich bin fasziniert, wie frisch sie noch ist, sowohl körperlich als auch geistig. Sie interessiert sich sehr für alles, was in der Welt passiert. Ich habe früher kein enges Verhältnis zu ihr gehabt. Mittlerweile gefällt sie mir richtig gut: sie hat Spaß daran, sich schön zu kleiden und lässt es sich gut gehen. Und sie ist der lebende Beweis dafür, daß man als Witwe kein Kind von Traurigkeit sein muss. Ihr Traum: eine Karte für ein Konzert in der neuen Hamburger Elbphilharmonie.
Sie hat mir übrigens auch meine derzeitige Lektüre geschenkt: Eckart Hirschhausens Wunder wirken Wunder. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, es mir zu kaufen. Beim Lesen stellte ich fest, daß er Schulmediziner ist. Als solcher hat er einfach eine ganz andere Art zu denken als ich, z. B. wenn er über das Thema Impfen schreibt, da ist er richtig rigoros. Ich fände es ja schön, wenn Schulmediziner in der Lage wären, zu akzeptieren, daß es Menschen gibt, die sich und ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, auch wenn sie deren Gründe nicht nachvollziehen können. Leider wedeln sie immer gleich massiv mit der Moralkeule: wer nicht impft, ist unsolidarisch. Nun ja, diese Diskussion führe ich einfach nicht mehr. Bringt nichts!
Er schreibt aber auch Sachen, die ich gut finde: z. B. nimmt er die Leute auf die Schippe, die meinen, ihre Selbstheilungskräfte anregen zu müssen. Dabei sieht jede Person, die einmal beobachtet hat, wie eine Verletzung der Haut ohne unser Zutun innerhalb kürzester Zeit heilt, daß wir angesichts der Fähigkeiten unseres Körpers unser Denken und Besserwissen getrost vergessen können.
Ich fahre damit ja schon mein ganzes Leben gut: auch damals, als ich mit der Diagnose Chronische Pankreatitis mit Pankreasinsuffizienz und einer ellenlangen Diätliste aus dem Krankenhaus kam, fing es mir ab dem Moment an besser zu gehen, als ich mit der Diät aufhörte und nicht mehr groß darüber nachdachte, daß ich schwer krank war.
Auch in der Alternativ- bzw. Komplementärmedizin findet sich viel Größenwahn und Kontrollsucht. Vielleicht einfach mal mehr Genuss und Vertrauen ins Leben und einen entspannteren Umgang mit Krankheit. Sterben müssen wir alle irgendwann mal. Im Ernst: das ist doch nur dann schlimm, wenn vorher kein richtiges Leben stattgefunden hat.
Ich kann übrigens den Einwand, die Steinzeitmenschen hätten nur eine Lebenserwartung von dreißig Jahren gehabt, obwohl sie im Einklang mit der Natur lebten, nicht gelten lassen. In dreißig Jahren kann eine Person z. B. weniger Scheiß anstellen, weniger krank sein, weniger schädlich für die Planetin mit ihren Lebewesen sein, mehr in Verbindung mit dem Großen Ganzen sein als in neunzig. Wer sagt denn, daß ein Neunzigjähriger ein erfüllteres Leben hat als ein Dreißigjähriger?

Dienstag, 10. Januar 2017

Nutzlos

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Am Sonntag hörte ich im Radio ein Interview mit Doris Dörrie: www.ndr.de/talk. Immer wenn ich auf ihren Namen stoße, muss ich daran denken, daß ich vor langer Zeit - ich war höchstens sieben und sie fünf Jahre alt) mit ihr in ihrer Wohnung gespielt habe. Zugegeben, ich habe nur eine blasse Erinnerung daran, ich weiß auch nicht, wie dieser Kontakt zustande gekommen ist. Wir sind in derselben Stadt aufgewachsen, Hannover, und haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: es gab in unseren Elternhäusern keine Fernseher. Das erfuhr ich aus dem Interview.
Einige ihrer Äußerungen haben mir gut gefallen. Sie beschrieb ihren Vater, der Arzt war, als Handwerker. Heute arbeiten die wenigsten Ärzte mit ihren Händen (und noch weniger mit ihren übrigen Sinnen). Statt einen Menschen in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, verlassen sie sich auf teure Maschinen.
Ich habe großen Respekt vor Handwerkern, die ihre Arbeit gut machen. Bei alten Möbeln finde ich oft Praktisches vereint mit Schönheit. In gotischen Kirchen, z. B. der schlichten Marktkirche in Hannover oder dem Straßburger Münster erkenne ich große Handwerkskunst. Gutes Handwerk ist immer auch Kunst. Die Trennung, die manche Künstler zwischen ihrer Kunst und dem Handwerk machen, kann ich nicht nachvollziehen.
Ein weiterer spannender Gedanke von Doris Dörrie: sie findet, daß wir Menschen öfter mal "nutzlos" sein sollten, d. h. ohne Zweck und ohne Ziel mal so durch den Tag dümpeln, nutzlos mit Freund*innen zusammen sein.
Wie recht sie hat! Immer muss ein Ziel erreicht werden und wenn es kein äußeres ist, dann eben die geistige oder körperliche Selbstoptimierung. Immer wird irgendwie gearbeitet. Ich habe solche Sehnsucht danach, einfach mal alles sein zu lassen: das Leben, die Welt, mich selbst, die Anderen. Das Mindeste, was ich tun kann , ist mir meine tägliche Traumzeit zu erlauben, in der ich nichts mache, außer - meistens draußen - rumzusitzen, in die Landschaft zu schauen/zu hören und kommen zu lassen, was kommen will. In einer dieser Traumzeiten ist vor einigen Jahren mal eine Ringelnatter zu mir gekommen und ganz langsam um meine Füße rumgekrochen. Ein anderes Mal hat eine Brandmaus mit einem schwarzen Aalstrich auf ihrem Rücken sich auf meine Füße gesetzt und meine Hosenbeine inspiziert. Ich kann die akrobatischen Flüge der Kolkraben bewundern und den Tanz der Seeadler am Himmel genießen. Aber selbst wenn gar nichts Spektakuläres passiert, sind diese Zeiten für mich lebensnotwendig geworden.

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