Samstag, 21. Januar 2017

Selbstbewusstsein

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Neulich ging es darum, ob es zu verantworten sei, Kritik an einer Person zu üben. Ich gehörte zu der Fraktion, die sagte: "Ja, unbedingt. Ich möchte auch gern, daß ihr mir gegenüber mit Kritik nicht hinterm Berg haltet." "Ja du" sagten einige, "du hast ja auch ein Selbstbewusstsein von 200 %."
Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Äußerung als Anerkennung nehmen kann. Auf jeden Fall musste ich in den folgenden Tagen öfter daran denken.
Was ist denn überhaupt Selbstbewusstsein? Selbstbewusst nennen wir doch solche, von denen wir das Gefühl haben, sie stehen sicher im Leben. Aber wenn ich den Begriff im Wortsinn nehme, heißt es: ich bin mir meiner selbst bewusst, ich kenne meine Stärken und Schwächen, ich habe ein Bewusstsein meiner Entwicklung bis jetzt. Und es heißt für mich auch, daß ich meinen Körper gut wahrnehmen kann, meine Atmung, meine Bedürfnisse, meine Zuneigungen, meine Abneigungen. Nach dieser Definition bin ich selbstbewusst. Und ja, ich fühle mich als eine, die sicher im Leben und zu sich selbst steht.
Das war aber nicht immer so. Die ich jetzt bin, bin ich geworden. Zwischen früher und jetzt liegt ein langer Weg mit vielen Stolpersteinen, vielen Fehlern, vielen Erinnerungen an Handlungen und Unterlassungen meinerseits, die von meinem heutigen Standpunkt aus voll daneben, rücksichtslos, selbstbezogen, voller blinder Flecken waren. Und mit Sicherheit werde ich in zwanzig Jahren auf heute zurückblicken und da auch das eine oder andere finden, was mir nicht gut gefällt.
Als ich in die Pubertät kam, wollte ich ein perfekter Mensch sein. Ich sah die Ecken und Kanten der Erwachsenen, ertappte sie bei Feigheiten und Lügen; da wollte ich auf jeden Fall besser sein. Wenn mich dann eine*r mit meinen Fehlern konfrontierte, fühlte sich das schnell wie Vernichtung an.
Ich will schon lange kein perfekter Mensch mehr sein. Was soll das übrigens sein: perfekt? Vielleicht gibt es die perfekte Welle, aber wohl keinen perfekten Menschen.
Ich freue mich nicht unbedingt über Kritik, aber ich kann sie mir mittlerweile anhören, ohne mich in Frage gestellt zu fühlen. Und irgendwas lerne ich immer daraus.
Eine junge Kollegin hat mir vor einigen Jahren mal mein gelegentlich autoritäres Verhalten vorgeworfen: das war nicht schön für mich, aber sie hatte Recht, und ich bin ihr dankbar für ihren Mut.
Sicher ist es leichter, sich Kritik anzuhören und auf sich wirken zu lassen, wenn sie mit einem grundlegenden Wohlwollen geäußert wird.
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