13. Fee

Als ich von Cambra Skadés Buch Eine Reise ins Land der Närrin erfuhr, musste ich es haben. Irgendwie schien es mir angemessen, etwas mehr Närrisches in mein ordentliches und diszipliniertes Leben zu lassen. Also, das Buch gefällt mir ausnehmend gut, ebenso die irgendwie rührenden Zeichnungen, die an Kinderbilder erinnern und soviel Ungeniertheit und Verspieltheit haben. Es hat auch sofort gewirkt: seit langem habe ich mal wieder ganz spontan bei der Hausarbeit gesungen.
Ich habe dann die 13. Fee, also die Unberechenbare, die Unruhestifterin, die vielleicht auch Ute Schirans Hindernisbereiterin entspricht, in mein Leben eingeladen. Denn wie wir ja alle aus dem Märchen wissen: sie kommt auf jeden Fall. Wenn sie eingeladen wird, ist sie vielleicht ein wenig gnädiger.
In katholischen Gegenden gibt es den Karneval, der den närrischen Kräften einen Zeit-Raum gibt. Die Protestanten haben es da schwer: sie müssen das ganze Jahr ernst, strebsam und ohne Raum für UnSinn sein (nicht umsonst ist der Protestantismus die Geisteshaltung, aus der der der Kapitalismus hervorgegangen ist). In anderen Kulturen hießen die Kräfte, die die gewohnte Ordnung durchkreuzten und jenseits jeglicher Moral agierten Heyoka, Loki, Coyote, Eshu usw. Ich nenne sie die 13. Fee, die Wesenheit, die gern ignoriert wird und dann kommt, wenn keine damit rechnet.
Dann wurde mir klar, daß die 13. Fee ohne meine Einladung schon seit Monaten bei mir ist. Sie hat mich vor einiger Zeit auf dem Markt über einen Korb stürzen lassen und kürzlich beim Aufsteigen auf den Roller von S. Neulich sprang mein Auto nicht an und ich konnte nicht zur Arbeit. Als es dann bei meinem KFZ-Mechaniker auf dem Hof stand, funktionierte es wieder wie gewohnt. Er sagte übrigens, Autos wären genau wie Menschen, launisch. Ich glaube, er hat Recht.
Und am Samstag wurde ich mal wieder von einer Biene in die Stirn gestochen. Einfach so, als ich gerade die Sense im Garten schwang. Ich nahm das erst mal sehr persönlich, schließlich bin ich dieses Jahr so oft wie noch nie gestochen worden. Innerhalb von 12 Stunden schwoll mein Gesicht zu einer fremdartigen Grimasse an, allerdings konnte ich wenigstens aus beiden Augen schauen. Am Samstagabend konnte ich nicht zu B.s Abschiedsfeuer und Sonntag nicht zum De Immen-Treffen. Ich verteilte das Fladenbrot und den Tomaten-Zwiebel-Butteraufstrich, die ich für dasTreffen vorbereitet hatte, in der Nachbarschaft und wendete alle Heilmethoden auf mich an, die mir einfielen. Nachts hatte ich einen Alptraum, tagsüber lief ich mit Sonnenbrille herum. Immerhin hatte ich jetzt Zeit, mich mal wieder um den Garten zu kümmern. M., die mir wieder mit Homöopathie half, sagte heute beim Anblick meiner Schlitzaugen: "Tibetan style." Da musste ich lachen. Ja, Lachen ist wohl die beste Möglichkeit, diesem neuerlichen Missgeschick zu begegnen.
Was hat mir das alles zu sagen? Ich habe da durchaus so meine Ahnungen. Die behalte ich vorerst für mich.

Heute ging ich nicht zur Arbeit und morgen bleibe ich auch zu Hause: ich will in der Klinik schließlich nicht auch mit Sonnenbrille rumlaufen. Und nein, ich will auch kein Cortison, wie mir vorgeschlagen wurde, und ebenso wenig eine Diskussion darüber.
Und als ich heute unbehelligt von den Bienen - mit denen hatte ich vorher ein Gespräch - wieder mit der Sense meine Bahnen zog, hatte ich das Gefühl, daß der Stich auch etwas Gutes gebracht hat: Zeit!
Heute Morgen stand ich um 4:00 auf, setzte mich vors Haus unter die deutlich sichtbare Milchstraße und sah mir die Mondfinsternis an.

Marie-Luise - 28. Sep, 21:11