Freitag, 2. Dezember 2011

Portugal

Allerheiligen-2011-051
Zehn Tage schamanische Unterweisung durch Ute Schiran in Portugal an der Algarve im schönen Gästehaus Casa d'Ouro. Wie immer kann ich nicht wirklich beschreiben, was wir dort gemacht haben. Auf jeden Fall bin ich sehr dankbar, Ute als Lehrerin gehabt zu haben. Die Unterweisungszeit ist vorbei, aber ich bin mir sicher, daß wir uns wiedersehen, auch die Frauen, mit denen ich die Erfahrung eines Gruppenkörpers machen durfte.
Zehn Tage war ich nicht allein: am ersten Tag holte mich die liebe Astrid vom Flughafen in Faro ab und ist dafür zwei Stunden gefahren! Leider mußte sie am nächsten Tag wieder ins Alentejo, wo sie lebt, zurück. Die folgenden Tage waren nicht nur mit Arbeit unter Utes Anleitung, sondern mit Strandgängen, Baden im Atlantik, saugutem ayurvedischen Essen, leckeren portugiesischen Natas und massenweise Galaos (eine Art Latte macchiato) angefüllt, sondern auch mit viel Körperkontakt, Zärtlichkeit und Sitzen am Kamin. Wir haben gelacht und uns zu dritt in Löffelposition auf ein Bett gelegt, wir haben uns massiert und erzählt, sind im Mietwagen an den Strand und am letzen Tag an das Cabo de Sao Vicente gefahren, um den Sonnenuntergang anzuschauen, beobachtet von ein paar wilden Hunden.
Allerheiligen-2011-061
Am Dienstag verbrachte ich noch einen Tag in Faro, wo ich mich in dem von Ute empfohlenen Hotel Aeromar für eine Nacht einmietete. Das Hotel kann ich empfehlen: es ist in der Nähe des Flughafens und liegt direkt am Atlantik und an der Rückseite einer Lagune, in der ich Silberreihern und Störchen zusehen konnte. Nachts lauschte ich dem Trance induzierenden Anbranden der Wellen.
Nachmittag fuhr ich mit dem Bus in die Stadt und vertrieb mir dort die Zeit. Nachdem ich die Straßen mit den kleinen gekachelten Häusern abgeklappert und herausgefunden hatte, daß hier die gleichen Geschäfte wie in Deutschland sind, nachdem ich in einer Pastelaria eingekehrt war, die gut und billig und nur von Einheimischen besucht war, überfiel mich eine schmerzhafte Sehnsucht nach einem, mit dem ich meinen Alltag teilen kann, wie ich sie schon lange nicht mehr hatte.
Morgens um vier fuhr mich ein Mann vom Hotel zum Flughafen. Er sprach gut Englisch. Ich sagte ihm, daß mir Portugal gefällt, und er antwortete mit traurigem Blick: "Many problems." Wir waren uns einig, daß es Zeit für eine Zeitenwende wird.
Allerheiligen-2011-077
(Näher konnte ich den Storch nicht heran zoomen.)
Jetzt bin ich wieder zu Hause, sitze am warmen Öfchen und lasse alles in die Tiefe sinken.
Übrigens hieß das Thema dieses Seminars (Selbst)mitleid in Klarheit und Berührbarkeit wandeln. Berührbarkeit - ja, das ist mein Thema ebenso wie das Willkommenheißen des Fremden.

Donnerstag, 17. November 2011

Steine und Tod

Allerheiligen-2011-007
Endlich habe ich angefangen, die Steinsetzungen, von denen es um den Selenter See nur so wimmelt, zu erkunden. Früher bin ich deswegen in die Bretagne und nach England gereist, jetzt habe ich diese Sachen vor der Haustür.
Ich habe übrigens entdeckt, daß die topografischen Karten, die ich mir zu diesem Zweck gekauft habe, vor allem die bronzezeitlichen Hügelgräber anzeigen. Die interessieren mich aber nicht.
Dem Internet sei Dank: ich habe im Wald bei Giekau drei Langbetten und einen Schalenstein entdeckt. Alle drei liegen abseits vom Weg und werden nicht so ohne weiteres gefunden. Eins der Langbetten ist sogar noch relativ gut erhalten.
Es gibt unterschiedliche Meinungen, ob es sich hier um Gräber oder etwas anderes gehandelt hat. In einigen hat man menschliche Knochen und Gegenstände gefunden, in anderen nicht.
Ich glaube, wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, die Menschen des Neolithikum hätten über den Tod so gedacht, wie wir das heute tun. Es gibt ja auch heute noch Kulturen, die sozusagen mit den Toten zusammenleben. So soll es in Mexiko üblich sein, an Allerheiligen und Allerseelen auf den Friedhöfen zu picknicken und mit den toten Ahnen zusammen zu feiern.
Ich glaube, daß die Steinkammern als Erdgebärmutter gedacht waren, in die die Toten in Embryonalstellung gebettet wurden, bis sie bereit waren für die Geburt in ein neues Leben. Möglicherweise sind das zugleich Orte gewesen, an denen Feiern und Riten stattgefunden haben.
Vielleicht waren Steinkammern und Dolmen auch Initiationsorte.
Allerheiligen-2011-015
Mit einer Kollegin habe ich über das Sterben gesprochen. Heute ist es ja kaum möglich, im Krankenhaus in Ruhe zu sterben. Da werden auch 80jährige, die tot vom Stuhl fallen, noch reanimiert, was das Zeug hält. Auch eine vorhandene Patientenverfügung, die solche Maßnahmen ausdrücklich ausschließt, ist kein zwingender Hinderungsgrund. Die Kollegin erzählte mir, daß sie in der Krankenpflegeschule eingebläut bekommen hätte, daß ein Verzicht auf Reanimationen unterlassene Hilfeleistung wäre. Sie käme in Gewissenskonflikte, wenn sie darauf verzichten würde. Eine andere sagte, daß sie nicht die Entscheidung über Leben und Tod eines Menschen treffen wolle und deshalb natürlich reanimieren würde. Nun, ich finde, genau diese Entscheidung maßt sie sich an, indem sie den Tod eines Menschen nicht als gegeben anerkennt. Ich will diesen jungen Kolleginnen keinen Vorwurf machen: ich weiß ja selbst um die Macht der Gehirnwäsche.
Aber ich trauere meinen Krankenpflegeschülerinnenzeiten im Landeskrankenhaus in Münster hinterher, als wir uns am Bett von sterbenden Menschen abwechselten und einfach nur da waren, bis sie ihren letzten Schnaufer gemacht hatten. Das war nicht immer möglich, aber ich habe einige Male Menschen auf ganz friedliche Weise über die Schwelle gehen sehen.
Allerheiligen-2011-010
Gestern hatte ich die zweite Sitzung bei meiner Osteopathin Frau B., die mir in den vergangenen Jahren immer wieder geholfen hat.
Und zum ersten Mal seit einem Jahr geht es meinen Händen besser: das unangenehme Taubheitsgefühl ist fast verschwunden, ebenso das gestauchte Gefühl in meiner Brustwirbelsäule, das zeitweise auch mit Beklemmungsgefühlen in der Herzregion verbunden war.
Ich habe ein Jahr lang soviel unternommen und auf den Rat von anderen Menschen gehört, habe viel Geld bei einem Rolfing-Practitioner gelassen, drei Sitzungen bei einem Chiropraktiker genommen, der mir erzählt hat, wie katastrophal meine skoliotische Wirbelsäule ist, so daß ich mich wirklich behindert gefühlt habe. Angefangen hat alles in Shanghai bei dem englischen Physiotherapeuten, den Kerstin mir wärmstens empfohlen hat.
Und die ganze Zeit war da immer diese bekannte innere Stimme, die mir zuflüsterte: Geh zu Frau B.
Die liebe S., die auch versucht hat, mir zu helfen und der ich normalerweise sehr vertraue, empfahl einen Wirbelsäulenexperten aus ihrem Kreis und Akupunktur. Da sagte meine innere Stimme ganz laut: Nein!
Und endlich folgte ich ihr.
Schon in der ersten Sitzung bei Frau B. hatte ich dieses Gefühl: Ah, hier bin ich richtig.
Sie ist ruhig und humorvoll, sie stellt meine Skoliose und die damit verbundenen körperlichen Besonderheiten nicht als Defizite dar, sie berührt auf eine ganz sanfte Art - alles fühlt sich angenehm an. Bei ihr scheint auf einer ganz tiefen vorbewußten Ebene Überzeugungsarbeit für meinen Körper stattzufinden.
Die Moral von der Geschichte: in Zukunft konsequent auf meine innere Stimme hören.

Samstag, 12. November 2011

Dem Größeren dienen

Allerheiligen-2011-005
Gestern habe ich einen wunderschönen Komposthaufen aufgesetzt. Die Sonne schien, und ich habe mich schnell warm gearbeitet. Anschließend habe ich die Wohnung geputzt, für mich und die Frauen, die heute zum Heilsalbenmachen gekommen sind. Zu guter Letzt habe ich eine Selleriecremesuppe für heute gekocht. Als ich dann abends fertig war, hat mein Rücken geächzt. Da wußte ich, daß ich es mal wieder mit dem Arbeiten zu weit getrieben hatte.
Heute morgen hatte der Raureif alles schön mit weißen Kristallen überzogen. D. und E. kamen, und wir haben eine Ringelblumen- und eine Johanniskrautsalbe hergestellt und danach noch schön geplaudert.
Von E., die Pastorin ist, habe ich wissen wollen, wie sie Aussagen wie "Es ist gut, daß Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hat" und die Vorstellung einer weiblichen Gottheit mit christlicher Lehrmeinung vereinbaren kann, denn ich kenne andere Frauen in ähnlicher Position, die eine Art Berufsverbot von der evangelischen Kirche aufgedrückt bekommen haben, weil sie nicht in der Lage waren, von Gott dem Vater zu reden.
Nun, sie kann es, wie auch immer sie das macht. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, daß sie sich irgendwie verbiegt.
Überhaupt ist mir aufgefallen, daß sich unter dem Dach der großen Kirchen viel Frauenspiritualiät abspielt, die wenig mit der christlichen Lehrmeinung zu tun hat. Da werden Jahreskreisfeste gefeiert, da sind Frauen sich bewußt, daß die Kirchen auf Plätzen stehen, an denen Menschen sich mit älteren göttlichen Wesenheiten verbunden gefühlt haben. Ein wenig erinnert mich das an Frauen wie Hildegard von Bingen, die im Mittelalter der Entwicklung ihrer Naturmystik im Rahmen der Kirche Raum geben konnte und auf diese Weise vielleicht vor dem Scheiterhaufen geschützt war.
Letztendlich geht es wohl immer darum, einer Sache zu dienen, die größer ist als eine selbst. Deshalb wollte ich als junges Mädchen Nonne werden, auch wenn ich es damals nicht so benennen konnte.
Heute würde ich das Größere Leben nennen.

Eben war ich im Wald. Der Mond scheint so silberhell, daß die Bäume Schatten werfen. Ein intensiver warmer Tiergeruch zog in meine Nase, da sprang auch schon ein Damwildrudel aus einer Mulde und rannte davon. Als ich an der alten Buche lehnte, hörte ich lautes Knacken und Knispeln um mich herum. Etwas näherte sich, da bekam ich Herzklopfen. Keine fünf Meter entfernt gingen ganz gemütlich zwei Damhirsche mit ausladenden Geweihen an mir vorbei.
Die Nacht gehört den wilden Tieren.

Dienstag, 1. November 2011

Dunkle Zeit

HTuNG-2011-063
Meine Tochter war zehn Tage lang bei mir, um in Ruhe an ihrer Examensarbeit zu schreiben.
Ich habe mich ja in meinem Alleinleben so gut eingerichtet, daß ich manchmal zweifle, ob ich überhaupt noch in der Lage und willens bin, mit einem anderen Menschen meinen Raum zu teilen. Aber mit ihr war es so einfach und angenehm. Wenn ich aus der Klinik kam, war die Hausarbeit erledigt, und wir konnten uns etwas erzählen. Wir machten Spaziergänge und wurden Zeuginnen der Damhirschbrunft. Wir kochten gemeinsam. Und ansonsten machte jede das, was sie gerade wollte und für sie anlag. Mir ist natürlich klar, daß es mit Katharina einfach ist, weil ich mit ihr seit ihrer Zeit in meinem Schoß vertraut bin. Mit einem Nicht-Verwandten ist es sicher ganz anders, und möglicherweise hätte ich da wieder dieses unaufschiebbare Bedürfnis für mich zu sein.
HTuNG-2011-067
Am Sonntagabend feierten wir zu Viert unser Ahninnen-Ritual. Von allen Jahreskreisfesten hat ausgerechnet dieses immer etwas Chaotisches, Wildes, Unberechenbares.
Dieses Mal verirrten wir uns in dem Wald, den wir schon so oft durchquert haben, um zu unserem schönen Platz am Vogelsee zu kommen. Es regnete, um uns herum waren unüberwindliche Brombeerhecken und von den Wildschweinen aufgeworfener Erdboden. Der Schein der Taschenlampen half kaum. Schließlich entschieden wir, an Ort und Stelle unser Ritual zu machen. Es wurde eine Kurzform daraus. Wir vergaßen das Räuchern (wäre wahrscheinlich bei dem Regen auch schwierig gewesen)und stritten anschließend, in welcher Richtung wir den Rückweg antreten sollten.
Aber als wir dann am Küchentisch zusammensaßen und aßen und erzählten, wurde es gemütlich und lustig.
Keine Ahnung, was die Ahninnen mit diesem Verwirrspiel bezweckten: vielleicht wollten die wilden Wesen am See ihre Ruhe haben.
Vielleicht ist es auch gut, für die dunkle Zeit einen leichter zugänglichen Platz zu finden.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Gode - Göttin

HTuNG-2011-033
Am Wochende war ich beim diesjährigen Godentreffen im Frauenbildungshaus Altenbücken bei Bremen. Sehr friedlich und entspannt dieses Mal, viel Singen und Tanzen und ein lustiges Ahninnenritual (ganz ungewohnt bei hellem Mondschein).
Ich kam inspiriert und mit einem warmen Gefühl für diese Frauen zurück, die mir Schwestern geworden sind. Wie gut tut mir das Eintauchen ins weibliche Feld.
Die Idee, das Göttliche weiblich zu sehen und mit Ritual und Tanz in den Alltag zu bringen, stammen aus der spirituellen Frauenbewegung, die sich Mitte der 80er Jahre formiert hat und seitdem gewachsen ist wie ein Baum mit Hunderten von Ästen: da gibt es die englische Wicca-Bewegung, die Reclaiming-Frauen um Starhawk, die Hexenzirkel und die vielen Frauen, die ihren eigenen Stil entwickelt haben und sich nicht auf ein bestimmtes System festlegen wollen (zu denen ich mich zugehörig fühle).
Auch wir Goden haben keine einheitliche Vorstellung von dem, was wir Göttin nennen.
Das Gemeinsame scheint mir zu sein: das Bewußtsein, daß das Weibliche das Leben hervorbringt, der Wille, diesem Weiblichen nach Tausenden Jahren von Unterdrückung, Vernichtungswellen, Verstümmelung, Versklavung wieder zu seinem Recht und zur Heilung aller erlebten Traumata zu verhelfen, auf allen Ebenen.
Die Erde ist weiblich, der Kosmos ist die große Gebärmutter, in der wir uns entwickeln.
Wenn diese Weltsicht wieder in den Alltag gebracht wird, ist das eine subversive Aktion. Wenn ich etwa in den Münsterschen Dom gehe und dort für die heilige Barbara eine Kerze anzünde, ehre ich damit keine katholische Heilige, sondern eine der heiligen vorchristlichen Frauen. Es macht Spaß, sich auf diese Weise die alten Stätten, die alten Symbole, die alten unterstützenden Energien wieder zurückzuholen. Ganz einfach, indem wir es tun. Kein Kampf, keine Diskussion - einfach tun, was eine braucht, um sich wieder mit dem Großen Ganzen zu verbinden, das wir Göttin nennen.
Die Frauen um Vera Zingsem (www.polythea.com) bereiten z.B. einen Göttinnen-Wagen für den Kölner Karneval vor. Das gefällt mir.
Siegrun erzählte von einem Ritual in Glastonbury in England, bei dem Männer einen Trommelkreis um die Frauen bildeten. Da bekomme ich doch Lust, mal wieder nach England zu reisen.
Vergnügt und mit dem deutlichen Gefühl, daß parallel zu Chaos und dem drohenden Zusammenbruch unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems Heilung geschieht, fuhr ich nach Hause.
Wie gut, daß Eva damals vom Apfel vom Baum der Erkenntnis genascht hat!
HTuNG-2011-045

Sonntag, 9. Oktober 2011

Holz

HTuNG-2011-026
Es ist plötzlich so kalt geworden. Abends mache ich mein Öfchen an und sitze vor den tanzenden Flammen.
Heute Morgen um fünf, als ich mich auf den Weg zum Frühdienst machte, leuchtete ein unglaublicher Sternenhimmel auf mich herunter. Wie gut, daß es in Lammershagen keine Straßenbeleuchtung gibt.
Nach dem Dienst stapelte ich die erste Fuhre Brennholz auf. Als ich fertig war, fing es an zu regnen.
Danke für euer Wohlwollen, ihr Wettergeister!

Für Susi und alle, die es noch wissen wollen:
www.frauen-kongress.com
Da findet ihr alles. Und der Termin für den nächsten steht auch schon fest: 26.9. - 30.9.2012
Der soll dann in der Nähe von Oldenburg in Niedersachsen stattfinden.
HTuNG-2011-006

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Frauen-Kongress

HTuNG-2011-014
Drei Tage Frauen-Kongress auf Gut Hübental zwischen Göttingen und Kassel:
Es war so ganz anders als die Frauenveranstaltungen, die ich in den letzen Jahren erlebt habe. Und auch wieder nicht, denn auch hier ging es um eine neue Kultur, die von Frauen ins Leben gebracht wird.
Es ging viel um Körper, Heilung weiblicher Sexualität, Bejahung der Vielfalt des Lebens.
Besonders gut gefallen hat mir das Tanzfest am Sonntagabend: DJ Maja, bei der ich jeden Morgen das hawaiianische "Fliegen" lernte, sorgte mit einer ausgesuchten Tanzmusikmischung dafür, daß ich stundenlang nonstop tanzen konnte, allein und zu zweit, langsam und schnell, am Rand und in der Mitte, sinnlich, obszön, wild, schwitzend, mich meines Rockes entledigend - und so aufgeladen, daß ich den Rest der Nacht nicht schlafen konnte.
Mich beeindruckte besonders Merabakti, eine Frau aus Äthiopien, die von der in ihrer Heimat praktizierten weiblichen Beschneidung erzählte. Sie hat selbst den grausamen Verstümmelungsritus erlitten und plädierte eindringlich dafür, daß erst dann Veränderung möglich ist, wenn Frauen aus dem Opferbewußtsein heraustreten. Spannend auch ihre Analogie: überall da in Afrika, der Wiege der Menschheit, wo Frauen besonders brutal entwertet, vergewaltigt und verstümmelt werden, finden die katastrophalsten Dürren und Hungersnöte statt. Sie war absolut überzeugend mit ihrer Sanftheit und Unaufgeregtheit.
Grit Scholz hat unzählige Vulven in Nahaufnahme fotografiert, um Frauen die Vielfalt ihrer Geschlechtsorgane vor Augen zu führen. Ihr Fotoband heißt Das Tor des Lebens. Es ist ja in unserer Kultur nicht üblich, sich unter Freundinnen dieses verborgene Organ zu zeigen und darüber zu sprechen. Für viele Mädchen ist es schockierend, in der Pubertät zu entdecken, was da zwischen ihren Beinen passiert. Die entwickelte Vulva sieht ja so wild, so unzivilisiert aus, daß eine erstmal denkt, das könne nicht normal sein. (Dazu fällt mir ein, daß ich als junges Mädchen einen Freund hatte, der ganz lässig sagte, das weibliche Geschlechtsorgan sähe aus wie eine verfaulte Kartoffel. Er war nicht lange mein Liebhaber - Göttin sei Dank! Aber ich war damals weit entfernt von meinem heutigen Selbstbewußtsein, und seine Bemerkung setzte mir sehr zu.) Grit Scholz berichtete auch von den Podiumsdiskussionen, die sie mit sogenannten Schönheitschirurgen hatte, die Frauen die inneren Venuslippen abschneiden, damit sie wieder wie kleine Mädchen aussehen. Das ist ja mittlerweile ein erschreckender Trend: eine westliche Form von Beschneidung, hinter der der Gedanke steht, daß Mutter Natur nachgebessert werden muß.
Mayonah Bliss, eine der Initiatorinnen des Kongresses, hielt einen Vortrag über den Heilungsweg ihrer eigenen Weiblichkeit. Sie erweiterte eine schöne Vorstellung, die ich meiner ehemaligen Tanz-Lehrerin Brunhild verdanke: daß der weibliche Schoßraum (schönes Wort) ein Abbild des großen kosmischen Schoßraums, des Universums ist.
Mächtig ans Herz ging das Männerverehrungsritual, an dem ich das Glück hatte teilnehmen zu können: es fand mit zwanzig Männern und dreiundzwanzig Frauen statt. Für mich war es wie ein bewußtes Niederlegen der Waffen.
Männer waren immer wieder Thema. Zu meiner Freude fanden sich viele Frauen, die Frieden mit Männern wünschen und sich bewußt sind, daß sie ganz wesentlich an der Gestaltung der Beziehungen beteiligt sind. Auch fand ich zu meiner Erleichterung ein wachsendes Bewußtsein dafür, daß wir Frauen eben nicht die Besseren sind, daß es gar nicht um Bessersein geht, sondern um gemeinsames Gestalten und daß die Evolution gute Gründe gehabt haben muss, dem anfänglich allein existierenden Weiblichen das Männliche hinzuzufügen.
Ja, das Patriarchat war schrecklich für uns Frauen, kein Zweifel, aber jetzt hat eine neue Zeit angefangen und aus dem Kompost des Alten wachsen neue Pflanzen.
Inmitten des vollen Programms fand sich auch noch die Zeit, mit interessanten Frauen zu reden, das gute Essen zu genießen, köstlichen Kuchen im Teezelt zu essen und sich über das warme Spätsommerwetter zu freuen.
Gefüllt mit neuen Inspirationen bin ich Montag nach Hause gekommen.
HTuNG-2011-019

Mittwoch, 28. September 2011

Finanzkrise und Selbstversorgung

HTuNG-2011-013
Als ich nach dem Aufstehen aus dem Küchenfenster schaute, bot sich mir der zauberhafte Anblick von Hunderten taubedeckter Spinnennetze, von der Morgensonne angeleuchtet.
Ich nutzte meinen freien Tag, um den Wildwuchs im Vorgarten umzugraben, die Böschung freizusensen und die von Gras überwucherten Buchsbaumsetzlinge vom letzten Jahr freizulegen. Sie haben alle Wurzeln geschlagen und wachsen jetzt hoffentlich gut an ihrem neuen Platz an.
Ich hatte noch viel mehr vor, aber wie immer habe ich die Zeit falsch eingeschätzt.
Nachdem ich fünf Stunden draußen gearbeitet hatte, ab und zu unterbrochen von einem Schnack mit den Nachbarn, kochte ich mir Pasta mit Tomatensauce und schwarzen Oliven und dachte beim Essen an die Toskana.
Nachdem ich meinem schmerzenden Rücken ein wenig Ruhe gegönnt hatte, machte ich Apfelmus, begleitet von der schönen Musik von Tamikrest. Meine Kollegin F. hatte mir Äpfel aus ihrem Garten mitgebracht.

Wenn ich mir die Nachrichten anhöre, wundere ich mich: ständig ist die Rede von Griechenland, das vor der Staatspleite gerettet werden soll, indem andere Staaten Schulden aufnehmen. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß so irgendwas gerettet wird? Welche Land steht als nächstes vor der Staatspleite: Italien, Spanien, Portugal, USA?
Und dann ist immer noch von der Wirtschaft die Rede, die wachsen soll. Indem die Erde und die Menschen noch mehr ausgeplündert werden, die Menschen noch mehr kaufen und noch mehr Müll produziert wird.
Gleichzeitig wird festgestellt, daß immer mehr Menschen an Burnout leiden durch Überforderung an ihrem Arbeitsplatz.

Währenddessen freue mich über meinen Garten und warte mit Spannung darauf, daß unser krankes Wirtschaftssystem zusammenbricht.
Ein Zitat von Elinor Ostrom, Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften 2009:
"Wir müssen uns von der Idee verabschieden, daß es nur eine Lösung auf globaler Ebene gibt. Es gibt auch darunter viele wichtige Ebenen, auf denen etwas passieren muss. Wenn sich die Politiker nicht einigen können, würde ich sie gern bis auf die Knochen blamieren - durch ein paar andere Abkommen, in denen Menschen sagen: Wir haben keine Lust mehr auf euch zu warten."
HTuNG-2011-009

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