Ich war ein paar Tage im Elsaß. Mittwoch habe ich mich mit Silke von Alma mater in Straßburg getroffen, die Stadt und das Münster angesehen, natürlich Choucroute (Sauerkraut) und Leberknödel gegessen, zwei schöne Bols für meinen Milchkaffee gekauft und genossen, mal wieder Französisch sprechen zu können, auch wenn es holprig war.
Donnerstag ging es dann mit dem Bus bis auf den Odilienberg, eine heilige Stätte, die später von der Kirche vereinnahmt wurde. Auch Odilia, eine Frau aus dem Stamm der Merowinger mit stark schamanischen Zügen - Bärenfell und Stein waren ihre Attribute - wurde im Zuge vorsätzlicher Legendenbildung zu einer christlichen Märtyrerin gemacht.
Auf diesem Berg fand also unser Alma mater-Modul zum Schnitterinfest statt.
Es war schön, stundenlang entlang der steinzeitlichen "Heidenmauer" durch den Wald zu streifen, von den reichlich wachsenden Blaubeeren und Preiselbeeren zu naschen, neue Pflanzen zu entdecken und immer wieder diese superschöne sanft bergige Vogesenlandschaft um mich herum zu haben.
Siegrun erzählte uns die Geschichten von Odilia und Richardis, einer anderen Schamanin, die immer von einer Bärin begleitet wurde. Überall scheint der alte Glauben an die Kräfte der freien Natur durch. So steht in der Krypta der Kathedrale von Andlau Richardis' Bärin aus Stein. Zu ihren Füßen kann man eine Klappe im Boden öffnen und sich in die Öffnung stellen. Man steht dann auf einem Fels, an dem die Bärin gekratzt haben soll. Wenn eine dann noch der Stein-Bärin die Hand ins Maul legt, soll ein Kraftstrom durch eine fließen. Natürlich haben wir alle das getan!
Ein Erlebnis war auch der Besuch des Feenplatzes im Wald, ein Areal mit großen Schalensteinen, die mit Sicherheit kultischen Zwecken gedient haben. Ich fand am Rande des Steinfeldes einen schönen liegenden Menhir, wahrscheinlich von irgendwem umgestoßen. Auf ihm konnte ich liegen wie in einem Bett und angenehmen Fichtenduft einatmen. In der Bretagne habe ich einige Male magische Erlebnisse mit Menhiren gehabt, denen eine Wende in meinem Leben folgte. Mal sehen, was jetzt passiert.
Am Sonntag vor der Abreise feierten wir noch unser Schnitterin-Ritual auf einer großen Weide unterhalb des Odilienberges. Jetzt sitzt dort eine überlebensgroße Muhme aus Stroh, von uns gefertigt, und kündet davon, daß die wilden Frauen da waren.
Ich bin Siegrun so dankbar, daß sie Alma mater ins Leben gerufen hat. Dieses Projekt ist eine Quelle des Wissens und der Freude.
Marie-Luise - 31. Jul, 22:06
Bin heute zurück gekommen von einem Naikan-Seminar in Tarmstedt bei Bremen.
Naikan kommt aus Japan und heißt "Innenschau". Es bedeutet, eine Woche lang täglich ca. 15 Stunden hinter einem Wandschirm fern von Außenreizen schweigend in die Erinnerung an Beziehungen zu wichtigen Personen im Leben einzutauchen, also Mutter, Vater, Großeltern, Geschwister, PartnerInnen, Kinder, und sich dabei unablässig mit drei Fragen zu befassen:
- Was hat diese Person für mich getan?
- Was habe ich für diese Person getan?
- Welche Schwierigkeiten habe ich dieser Person gemacht?
Ich war zusammen mit zwei weiteren Frauen und zwei Männern in diesem Raum, jedeR von uns aber für sich und ohne Kontakt untereinander.
Erstaunlich, daß ich es so lange im Sitzen ohne Ablenkung mit mir, meinen von Tag zu Tag deutlicher werdenden Erinnerungen, den drei Fragen und den dadurch auftauchenden Gefühlen aushalten konnte.
Etwa alle 90 Minuten kam der Leiter des Zentrums, Gerald Steinke, schob den Wandschirm auseinander und ließ sich berichten, welche Antworten jedeR von uns zu diesen Fragen gefunden hatte. Er hörte sie sich an ohne sie zu kommentieren, ohne sie zu hinterfragen, ohne zu werten, ohne zu deuten. Also gänzlich anders als Therapie.
Das Ganze geschieht in einer Atmosphäre von großer Achtung, Sanftheit und Achtsamkeit.
Ich kann noch nicht wirklich beschreiben, was da mit mir geschehen ist, es muß sich alles in mir neu zusammensetzen. Nur soviel: besonders die Frage, welche Schwierigkeiten ich einem anderen Menschen bereitet habe, bewirkte einen nachhaltigen Wechsel meiner Blickrichtung, und ich weiß und fühle jetzt deutlich, wie reich ich in meinem Leben beschenkt worden bin von all diesen Menschen, die mich einen Teil meines Weges begleitet haben. Allein was meine Mutter mir gegeben hat, und ich habe viele Jahre lang nur gesehen, was sie mir nicht gegeben hat.
Wen es interessiert, hier gibt es Infos:
www.naikan.de
Es gibt auch ein Buch von Claudia Müller-Ebeling und Gerald Steinke: Naikan - Versöhnung mit sich selbst
Marie-Luise - 6. Jul, 20:46
Heute leitete ich einen Kräuterkurs in Grube im Haus von Claudia Siems, einer meiner Teilnehmerinnen vom letzten Jahr, und ihrem Mann.
Strahlendes Sommerwetter, der beständige Wind von der Küste über der weiten Landschaft und die blühende Fülle dieser Jahreszeit. Die Erde als Geliebte zu erkennen, wie Joanna Macy das vorschlägt, fällt leicht bei solch günstigen Voraussetzungen. Das habe ich schon gestern gespürt, als ich am Ufer der Schwentine Pflanzen für das Kräutersüppchen gesammelt habe. Die Kräuterfrau Gertrude Ernst-Wernecke sagte: Frauen haben eine Öffnung zwischen den Beinen und die können sie nutzen, denn dadurch sind sie mit der Erde verbunden.
Genau das habe ich gestern gespürt, als ich durch den Wald streifte, und fühlte mich plötzlich glücklich und frei.
Heute fühlte ich auch wieder meine besondere Verbundenheit zu dieser Landschaft, die ich als magisch empfinde. Wie sehr sehne ich mich danach, dort wieder leben zu können. Nicht in Kükelühn, nicht mit J., das ist mittlerweile unvorstellbar geworden, unsere Wege gehen weit auseinander.
Aber ich träume davon, in der Nähe der Ostsee zu leben, inmitten von Weißdorn-, Schlehdorn-, Weidenknicks, den Wind zu spüren, den weiten Himmel über mir zu haben, nachts die Stille und die Dunkelheit, Mondauf- und -untergänge, Sonnenauf- und -untergänge. Ein Stück Land, einen Garten, ein paar Hühner und Wald in der Nähe.
Die Stadt ist freundlich zu mir, dennoch bin ich hier nur Gast, hier will ich keine Wurzeln schlagen.
Marie-Luise - 31. Mai, 22:18
Heute nacht bin ich vom Muttergipfel in Karlsruhe zurückgekommen. Den hat Siegrun Laurent, unsere Alma mater-Mutter, initiiert. Von Freitagmittag bis Sonntagmittag viele bekannte ReferentInnen, die sich mit dem Thema Mutter und Matriarchat befassen. Da ich nicht nur Teilnehmerin war, sondern auch zeitweise mitgearbeitet habe, konnte ich längst nicht allen zuhören. Aber die, die mir wichtig waren und die ich noch nicht kannte, habe ich nun kennengelernt:
da war Genevieve Vaughan mit ihrer überaus inspirierenden "Ökonomie des Schenkens", Wengji Wang, ein Mann vom matriarchal lebenden Volk der Mosuo in China, der mich mit seinem völlig unbefangen vor 500 TeilnehmerInnen vorgetragenen Lied zu Tränen rührte, Marina Meneses aus Juchitan in Mexiko, die uns gemeinsam mit der Subsistenz-Fachfrau Veronika Bennholdt-Thomsen vom Leben in einer von Frauen organisierten Stadt erzählte und mich mit ihrer stolzen Körpersprache und ihren prachtvollen Gewändern entzückte. Ich traf auch "alte" Bekannte: Heide Göttner-Abendroth, die Mutter der Matriarchatsforschung, und die Kabylin Malika Grasshoff, die mich wieder durch ihre unvergleichliche Körpersprache, ihren französischen Akzent und ihre schöne Kleidung begeisterte.
Wunderbar war es auch zusammen mit Hunderten von Menschen singend durch das große Labyrinth von Li Shalima zu gehen und dabei alle ansehen zu können.
Ich stellte fest, daß es viele sehr schöne und erotische alte Frauen in dieser "Szene" gibt und übrigens auch ein paar Männer, die unsere Verbündeten auf dem Weg in eine herrschaftsfreie Gesellschaft sein können.
Zwischen den vielen Menschen fühlte ich mich lebendig und frei wie ein Fisch im Wasser.
Gefehlt haben mir allerdings Arbeitsgruppen und Workshops, in denen wir Ideen sammeln und Netze hätte knüpfen können. Aber ich denke, wir lernen daraus!
Jetzt bin ich wieder zu Hause und brauche Zeit, um alles zu verdauen.
Marie-Luise - 26. Mai, 16:22
Nach wie vor fehlt mir der Garten ganz schrecklich. Gerade jetzt, wo alles Grün von den leuchtenden Löwenzahnblüten übersät ist wie von tausend Sonnen, könnte ich manchmal vor Sehnsucht nach dem verlorenen Landleben schreien.
Ich helfe mir, indem ich meinen Balkon zu einer Subsistenzoase mache. Das bedeutet, ich muß in den Baumarkt fahren, Balkonkästen besorgen. Dann suchte ich einen hübschen und einigermaßen preisgünstigen Tisch. Insgesamt war ich deswegen in vier Läden, davon zwei Baumärkte.
Als ich nach Hause kam, stellte sich heraus, daß die Balkonkästen zu breit sind. Der Tisch ließ sich nicht zusammenschrauben, die Schrauben drehten sofort durch. Das war wieder einer der Momente, in denen ich mich gern hingesetzt hätte, um eine Runde zu heulen, einfach weil ich mich von der Göttin so verlassen fühlte.
Tat ich aber nicht: ich packte den Tisch wieder ins Auto, fuhr nochmal zum Baumarkt und tauschte ihn um.
Jetzt steht ein kleiner Tisch auf dem Balkon und eine Amsel kam zu Besuch.
Marie-Luise - 30. Apr, 20:48
Letzte Woche habe ich im Frauenbildungshaus Altenbücken in Niedersachsen eine Woche Bildungsurlaub gemacht, Thema Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Sehr interessant und überzeugend, aber bis ich das kann, werde ich noch lange üben müssen.
Wir waren ein wilder Schwarm Frauen, von denen ich einige richtig ins Herz geschlossen habe. Abends gab es langes Geschichtenerzählen am Feuer und lautes Lachen. Das liebe ich so und das hat mir so lange gefehlt.
Freitagmorgen wachte ich dann mit einem traurigen Gefühl auf: jetzt geht es wieder in meine einsame Wohnung.
Während meiner Ehe habe ich mir immer wieder Momente der Einsamkeit genommen, um mich "zusammenzusetzen". Das war ein Grundbedürfnis nach intensivem Kontakt oder um mit mir selbst ins Reine zu kommen. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen deswegen, hatte den Eindruck, daß mein Mann dieses Bedürfnis nicht versteht und auch nicht so richtig akzeptieren konnte. Wenn er dann mal wegfuhr, was immer seltener vorkam, genoss ich das. Von anderen Freundinnen habe ich übrigens Ähnliches gehört. Nach meinen einsamen Stunden oder Tagen hatte ich dann auch wieder richtig Lust auf J. Zum Schluss nicht mehr, da lag schon zuviel zwischen uns.
Jetzt habe ich alle Zeit der Welt ganz ohne schlechtes Gewissen. Und jetzt wünsche ich mir oft einen, mit dem ich meine Erlebnisse teilen kann. Ja, ich habe Freundinnen, aber es ist etwas anderes, als einen in der Wohnung zu haben.
Mittlerweile sieht es so aus, daß J. und ich kaum wieder zusammen kommen werden. Da müßte schon ein Wunder geschehen. Ich will nicht auf Wunder warten, sondern bin dabei mein weiteres Leben ohne diese Hoffnung anzugehen.
Das bedeutet zu lernen, mir selbst genug zu sein.
Marie-Luise - 16. Apr, 20:43
Sobald ich eine Zeitschrift aufschlage, springt mich der Name Charlotte Roche an. Im Bücherladen liegt grell und unübersehbar ihr Buch "Feuchtgebiete" aus. Ich habe es bis jetzt nicht gelesen, aber ich weiß schon einiges darüber. U. a. meine Tochter berichtete gut gelaunt, daß Charlotte Roche ihr aus der Seele schreibt.
Es geht um den Hygiene- und Enthaarungskult, der seit einigen Jahren offensichtlich zwingend notwendig zu sein scheint, damit eine ein unbehelligtes Leben in unserer Gesellschaft führen kann. Frauen mit Haaren in Achselhöhlen und an den Beinen sind nicht angesagt, werden angepöbelt, als schmutzig hingestellt. Frau darf nicht schwitzen und muss Deos benutzen, die die Transpiration unterdrücken, bzw. mit synthetischen Gerüchen überlagern.
Neulich war ich mit Ida in der Sauna und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: da laufen die Mädels mit kahl rasierter Muschi und die jungen Männer mit haarlosen Schniedeln und Eiern herum. Eine könnte denken, die haben sich alle einer Chemotherapie unterzogen. Oder vielleicht leiden sie unter einer Hormonmangelerkrankung, die sie im Kindheitsstadium hält. Aber nein, das sei einfach hygienischer, wird mir erklärt. Aha! Also das, womit die Natur uns ausgestattet hat, ist unhygienisch. Interessant. Körperflüssigkeiten sind auch ih ba! Frage ich mich: wie halten die Herrschaften es mit Sex ohne Körperflüssigkeiten?
Ich bin doch froh, daß ich mittlerweile in einem Alter bin, in dem ich nicht jeden blöden Trend mitmachen muß. Es ist noch gar nicht lange her, da waren sowohl Achsel- wie auch Beinhaare das Normale und gestunken haben Leute, die sich nicht gewaschen haben. Und Sex war mit reichlich Körperflüssigkeiten verbunden. Ich wünsche mir sehr, daß die haarlosen Zeiten schnell vorbei gehen. Ein Kahlrasierter kommt mir jedenfalls nicht ins Bett, ich bin doch keine Kinderschänderin.
Marie-Luise - 5. Apr, 20:17
Über Ostern war ich bei einer Alma mater-Schwester in Hessen. Zusammen mit zwei weiteren AM-Schwestern haben wir den Hohlestein bei Kassel besucht. Als Kind war ich oft mit meinen Eltern und Großeltern in dieser Gegend, aber an diesen speziellen Ort konnte ich mich nicht erinnern. Das geplante Frühlingsanfangsritual verkürzte sich wegen des Schnees auf einen Aufstieg bis zum Fuß des Hohlesteins und einen Gang durch das unterhalb angelegte Labyrinth. Immerhin haben wir dem Felsen noch ein Lied vorgesungen. Später ging es noch zu Miriam nach Kassel, in deren Küche wir uns über Göttin und die Welt austauschten, während es dunkel wurde.
Das Thema Autonomie beschäftigt mich: nach den langen Jahren des Zusammenlebens mit meiner Tochter habe ich in meiner zweiten Ehe vehement die Ansicht vertreten, daß ich meine Autonomie um jeden Preis aufrechterhalten muß. Mir schien es notwendig zu sein, um mich vor Abhängigkeiten in der Beziehung zu schützen. Ich weiß, daß ich J. damit oft irritiert, wohl auch verletzt habe.
Mittlerweile sehe ich diese geradezu dogmatische Forderung nach Autonomie als etwas, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Natürlich finde ich es immer noch wichtig, daß ich mein eigenes Geld habe und in der Lage bin, z.B. einen Nagel in die Wand zu hauen oder Holz zu spalten oder meine Steuererklärung zu machen.
Andrerseits habe ich gerade in dieser langen Beziehung die Vorteile einer gewissen Arbeitsteilung zu schätzen gelernt: jede/

r macht das, was er/sie gut kann und gern tut.
Und um ehrlich zu sein: wir sind doch alle abhängig voneinander. Damit meine ich nicht nur uns Menschen, sondern alle Wesen.
Ich glaube, unser Leben hängt von unserer Fähigkeit zu kooperieren ab.
Marie-Luise - 25. Mär, 20:15