Chauvet-Höhle

Mein letzter Beitrag hat für mich überraschend viele Reaktionen hervorgerufen.
Der Umgang mit unliebsamen Emotionen scheint ein großes Thema zu sein. Nein, wegmachen oder unterdrücken geht nicht, scheint mir auch nicht sinnvoll zu sein, sind diese heftigen Gefühle doch Ausdruck meiner Lebendigkeit. Astrid, dein Ansatz gefällt mir am besten. Meine Erfahrung hat mir aber auch gezeigt, daß es nicht sinnvoll und oft genug äußerst destruktiv ist, diese Gefühle auszuagieren. Und was mache ich, wenn andere Menschen mich mit Gefühlsäußerungen bedrängen, weil sie mich als deren Auslöserin/Verursacherin sehen? Ich kann nicht behaupten, daß ich bis jetzt eine für mich gute Lösung gefunden habe.
Ob ich mich mit meinem Zorn, meiner Impulsivität jemanden zumuten kann? Das werde ich jeweils dann sehen, wenn die Reaktion meines Gegenüber kommt. Vor vielen Jahren habe ich mir damit eine Freundschaft zerstört.

Ich habe den Film "Cave of forgotten dreams" über die Chauvet-Höhle im Departement Ardèche von Werner Herzog gesehen. Sehr anrührend! Diese faszinierend genauen, völlig lebendig wirkenden Darstellungen von Großkatzen, Bären, Nashörnern, Pferden. Sie sind vor über 30.000 Jahren entstanden. Wie haben diese JägerInnen- und SammlerInnen gedacht? Wie nah müssen ihnen diese Tiere gewesen sein, daß sie sie so genau darstellen konnten. Welche Schönheit!
Mir scheint, daß diese Menschen sich noch ganz deutlich zugehörig zum großen Netz des Lebendigen gefühlt haben und daß sie die abgebildeten Tiere als ebenbürtig gesehen haben. Und ich bin davon überzeugt, daß sie mit Respekt getötet haben.
Marie-Luise - 29. Jan, 22:27
interessanterweise hatte ich beim Lesen deines heutigen Bogeintrags, vor allem in Bezug auf die Zusammenstellung (heftige Gefühle-Frage der Resonanz/Chauvet-Höhle-Nähe der Tiere resp. des "Wilden") einen spannenden Geistesblitz. Als ich mir so habe vorzustellen versucht, wie das wohl gegangen ist, dass Menschen ein so intimes Wissen der Wildnatur der anderen Mitgeschöpfe haben konnten, habe ich gedacht: Das hat was mit der Fähigkeit zu tun, das eigene "Wilde" ganz nah an sich herankommen zu lassen! Und dazu gehören für mich gerade auch die Empfindungen/Gefühle, die wir heutzutage normalerweise lieber nicht haben wollen, Angst, Wut, Trauer ...
Ich bin davon überzeugt, dass unsere VorfahrInnen eine Form entwickelt hatten, die es ihnen erlaubte, diesen "wilden" Emotionen (die damals bestimmt noch nicht so gewertet wurden!) einen sozial verträglichen Raum zu geben - denn darum geht es ja bei der Frage der "Zumutbarkeit". Ob das Ritual waren, Hinausgehen in die "Wildnis" und sich mit den MeisterInnen der "wilden" Gefühle konfrontieren und damit mit dem eigenen Anteil - ich denke, es gab eine Vielzahl solcher "Ausdrucksmöglichkeiten", die eine Integration, eine Annahme, ein Gewahrwerden zum Ziel hatten udn nicht eine Verdrängung.
Wenn ich in das Auge des Tigers schauen kann, dann kann ich auch in das Auge meiner eigenen inneren Jägerin schauen, die, die sich in der "Zivilisation" eingesperrt fühlt, am liebsten alles Zerreissen und Zerfleischen würde ... oder ihren Stachel tief in das Fleisch eines anderen bohren, damit der/die sich auch einmal so fühlt, wie einEr selbst ...
Ich bin auch davon überzeugt, dass viele unserer "untragbaren" Emotionen daher rühren, dass wir ein derart domestiziertes Leben führen. Eben wie die Wildkatzen im Zoo, die dann auch nur noch Hin- und Herrasen am Zaun entlang. Und einen kontinuierlich hohen Adrenalinspiegel haben, wie sonst nur während der Jagd oder auf der Flucht. Unser "Adrenalinspiegel" ist ebenfalls kontinuierlich hochgeschraubt, eben weil wir uns auch ständig bedroht fühlen, und das zu Recht. Ein beispiel sind die vielen Wechsel-Frauen, die "plötzlich" über extreme Ausbrüche etc. "klagen". Da wird etwas deutlich, oder ein Deckel brüchig, und darunter kommt der Schmerz und die Wut über die jahrzehnte- und generationenlange Zerstückelung/Unterdrückung zum Vorschein.
Was also tun? Ist ja auch deine Frage. Ich für mich lerne immer mehr, meinen "wilden" Aspekten ins Auge zu sehen, nicht mehr davon zu rennen, übrigens auch nicht mehr ins "wildwütige" (!) ausagieren. Ich suche mir ein ruhiges Plätzchen, zumeist draußen in der freien Natur, und gehe in meinen "Dschungel". Ich lausche den Stimmen meiner inneren Elefanten ("Trampeltier"), meiner Wildkatzen ("Kratzbürste"), Tarantel ("Stechen und Hauen") und was da sonst noch so auftaucht ... Und versuche herauszufinden, was sie eigentlich brauchen. Und ich finde heraus, dass ich immer noch und immer wieder in zu engen Bezugssystemen lebe, mich fürchte, mich der Eigenmacht des Lebens zu überlassen und zu wenig Vertrauen in mein Eingebunden-sein habe. Eben alles Deformationen einer zu lange Haustauglich-gemachten Seele. Also: Wi(e)der die Domestizierung, es leben die wilden Höhlen!
Hört sich gut an, Astrid