Kalle, das Kaninchen

Auf dem Bild seht ihr Kalle, das Kaninchen, ganz gemütlich in meinem Kräuterbeet liegen, das ich mit viel Mühe und jungen Pflanzen angelegt habe. Kalle besucht meinen Garten regelmäßig und scheint sich hier wohl zu fühlen. Die Mutter des Jungen, zu dem er gehört, sagte mir, daß Kalles Freiheitsdrang so groß ist, daß er keinen Käfig toleriert und immer wieder ausbüxt. Er hat bis jetzt sowohl den strengen Winter wie auch die Dorfhunde überlebt.
Kalle lässt sich von mir streicheln und tut auch sonst so, als wäre er hier zu Hause: er hat nämlich meinen blühenden Thymian und den neu gepflanzten Ysop mit seinen Nagezähnen rasiert, zwei Kamillenpflanzen ausgegraben, sich auf eines der zarten Bilsenkräuter gelegt (was dieses nicht überlebt hat) und gelegentlich buddelt er Löcher, besonders gern da, wo ich gerade gehackt habe.
Als er sich dann gestern abend vor meinen Augen mal wieder genüsslich in meinem Kräuterbeet räkelte und begann, die Wurzeln des Heilziests freizulegen, hatte ich eine ganze Palette sehr böser Gefühle ihm gegenüber.
Jahrelang habe ich mit Schmerzen zugesehen, wie die Schnecken meine Pflanzen weggeraspelt haben. Ich wollte sie nicht töten, also schaffte ich mir Laufenten an. Da hatte ich keine Schnecken mehr, dafür andere Probleme, weil Laufenten halbwegs artgerecht zu halten ist genauso aufwendig wie jeden Tag Schnecken von den Beeten zu sammeln und weg zu tragen.
Jetzt ist Kalle meine neue Herausforderung. Und ich wage noch gar nicht daran zu denken, daß auch das Damwild vielleicht irgendwann mal die Leckereien in meinem Garten entdeckt.
Ich gehe in mich: ich rede hier von "meinem" Garten. Aber möglicherweile sehen auch Kalle, die Schnecken, die Schwalben, die Hummeln und Hornissen und was hier sonst noch so kreucht und fleucht diesen Flecken Land als ihren Garten. Und ob der Thymian in meiner Linsensuppe oder im Kaninchenmagen landet, ist ihm wahrscheinlich egal. Es widerstrebt mir, Zäune aufzustellen und harte Maßnahmen gegen die sogenannten Fressfeinde (was für ein perverses Wort) zu ergreifen. Beginne ich nicht gerade zu begreifen, daß wir Westmenschen alle verseucht sind vom Virus des Mangel-Denkens? Ist nicht unser kapitalistisches System, das verheerendste aller Wirtschaftssysteme, auf der Ideologie des Mangels aufgebaut? Haben wir nicht schon mit der Muttermilch aufgesogen, daß es nicht genug für alle gibt? Und weiß ich nicht, daß das eine große verdammte Lüge ist, weil in Wirklichkeit die Erde genug für alle Wesen bereit hält!
Und weil ich das weiß, will ich lernen, damit umzugehen, daß Kalle Spaß am Thymian und Heilziest hat und die Schnecken vom Bilsenkraut gekostet haben.
Denn außer mir fühlen sich hier noch einige andere Wesen sehr zu Hause. Wer sollte das besser verstehen als ich?
Marie-Luise - 7. Jun, 22:13
Astrid (Gast) - 8. Jun, 11:46
Die Kraft der Grenzen
Es gibt ein wunderbares Buch, das heisst "Die Kraft der Grenzen" (leider fällt mir gerade dooferweise die/der AutorIn nicht ein ...), das beschäftigt sich mit der Frage: Was sit das eigentlich, eine Grenze? Wie entstehen sie - und verlaufen sie überhaupt da, wo wir sie verorten? Sind sie manifest und absolut, oder durchlassig, osmotisch und beweglich ...? Viele Fragen udn einige sehr interessante Antworten, die ihrerseits wiederrum sehr beweglich sind und im Geiste machen.
Was mir daran gefallen hat: Dass dieses Buch einerseits akzeptiert, das es Grenzen gibt (und auch einige sehr interessante Argumente dafür findet, die weit jenseits der Chaosfrage angesiedelt sind) und dennoch auslotet, worum es sich dabei handelt.
Als ich deinen Eintrag heute las, ist mir dieses Buch wieder eingefallen - udn wie befreiend ich es fand, sozusagen sehr intelligent aufbereitet zu bekommen, dass Grenzen Sinn haben. Vor allem und zum beispiel bei dem- und denjenigen, die sich noch im Wachstum befinden. Die also erst "Gestalt" annehmen wollen (denn mit dieser haben grenzen unmittelbar zu tun) und hierfür Orientierung ebenso wie flexiblen Schutz benötigen. Felxibel deshalb, weil "Schutz" eben auch nichts absolutes ist, sondern sich immer wieder neu ausrichten muß.
Ich muß dabei an mein Kind denken, die Grenzen braucht, um sich selbst zu erleben - ebenso, wie die "Grenz"-Überschreitung. Ich denke an die Formgebenden Kräfte, die Wachstum Grenzen setzen ...
und ich denke an die Hybris der heutigen "grenzenlosen" Welt, in der scheinbar alles geht und alles möglich ist.
Du schreibst etwas früher in deinem Blog über die Verwurzelung. Verwurzelung braucht meiner Ansicht nach Zeit, Raum - und Grenzen. Die müssen natürlich verhandelt werden- einfach deshalb, weil es unterschiedliche ud nicht immer koordinierbare Bedürfnisse gibt. Ohne diese Verwurzelung sind wir uns selbst fremd, sind sozusagen "ge- und vertrieben", kennen keine Maß und hören keinen Ton.
Im Falle von Kalle heisst das: Solange du nicht mit ihm in Beziehung tritts, um zum Beispiel für die jungen, heranwachsenden Pflanzen einzutreten, für ihren Schutzraum, wird wohl nicht viel passieren. Klar kannst du ihn ncht argumentativ vom lebensrecht der anderen überzeugen, aber du kannst ihm - in diesem Falle stellvertretend - Grenzen setzen. Das ist noch kein Mangel, ich finde auch diesen Vergleich an dieser Stelle falsch. Es geht um Balance ALLERa vorhandenen Bedürfnisse: Deiner, die der kleinen Pflanzen, und auch seiner (Kalles). Seiner Freiheit wird kein Abbruch getan, wenn ihn z.B. ein Zaun daran hindert, die kleinen Pflanzen mit Stumpf und Stil auszureißen. wenn die dann Fuß gefasst haben und ihre eigenen Interessen verteten können, kannst du ihn ja wieder abbauen (den Zaun natürlich .-)))
Liebe Grüße, deine Astrid
Was mir daran gefallen hat: Dass dieses Buch einerseits akzeptiert, das es Grenzen gibt (und auch einige sehr interessante Argumente dafür findet, die weit jenseits der Chaosfrage angesiedelt sind) und dennoch auslotet, worum es sich dabei handelt.
Als ich deinen Eintrag heute las, ist mir dieses Buch wieder eingefallen - udn wie befreiend ich es fand, sozusagen sehr intelligent aufbereitet zu bekommen, dass Grenzen Sinn haben. Vor allem und zum beispiel bei dem- und denjenigen, die sich noch im Wachstum befinden. Die also erst "Gestalt" annehmen wollen (denn mit dieser haben grenzen unmittelbar zu tun) und hierfür Orientierung ebenso wie flexiblen Schutz benötigen. Felxibel deshalb, weil "Schutz" eben auch nichts absolutes ist, sondern sich immer wieder neu ausrichten muß.
Ich muß dabei an mein Kind denken, die Grenzen braucht, um sich selbst zu erleben - ebenso, wie die "Grenz"-Überschreitung. Ich denke an die Formgebenden Kräfte, die Wachstum Grenzen setzen ...
und ich denke an die Hybris der heutigen "grenzenlosen" Welt, in der scheinbar alles geht und alles möglich ist.
Du schreibst etwas früher in deinem Blog über die Verwurzelung. Verwurzelung braucht meiner Ansicht nach Zeit, Raum - und Grenzen. Die müssen natürlich verhandelt werden- einfach deshalb, weil es unterschiedliche ud nicht immer koordinierbare Bedürfnisse gibt. Ohne diese Verwurzelung sind wir uns selbst fremd, sind sozusagen "ge- und vertrieben", kennen keine Maß und hören keinen Ton.
Im Falle von Kalle heisst das: Solange du nicht mit ihm in Beziehung tritts, um zum Beispiel für die jungen, heranwachsenden Pflanzen einzutreten, für ihren Schutzraum, wird wohl nicht viel passieren. Klar kannst du ihn ncht argumentativ vom lebensrecht der anderen überzeugen, aber du kannst ihm - in diesem Falle stellvertretend - Grenzen setzen. Das ist noch kein Mangel, ich finde auch diesen Vergleich an dieser Stelle falsch. Es geht um Balance ALLERa vorhandenen Bedürfnisse: Deiner, die der kleinen Pflanzen, und auch seiner (Kalles). Seiner Freiheit wird kein Abbruch getan, wenn ihn z.B. ein Zaun daran hindert, die kleinen Pflanzen mit Stumpf und Stil auszureißen. wenn die dann Fuß gefasst haben und ihre eigenen Interessen verteten können, kannst du ihn ja wieder abbauen (den Zaun natürlich .-)))
Liebe Grüße, deine Astrid

Ich mußte schmunzeln, als ich den Text las. Mit meinen Schnecken habe ich einen Deal geschlossen. Ich pflanze einfach mehr an für alle. Die Schnecken bekommen ihren Anteil am Salat und ich ebenso. Wird es mir dennoch zuviel sammele ich sie ein. Bei den Pflanzen meine ich zubeobachten, das weniger robuste Pflanzen eher angeknabbert werden. Pflanzen haben doch eigentlich auch ihre Verteidigungsstrategien, die vllt. bei geschwächten Pflanzen weniger vorhanden sind. Aber ich denke, dort wo ein halbwegs bestehendes ökologisches Gleichgewicht herrscht sollte Mangel nicht wirklich Thema sein. Im großen wie im kleinen. Ich finde Gartenarbeit ist eine "weise" Angelegenheit.
Liebe Grüße
Sabine
P.S. Ich freue mich schon auf die Wildkräuterwanderung im Hunsrück!