Dienstag, 4. Mai 2010

Grünt die Eiche vor der Esche...

Walpurgis-2010-013
...gibt's im Sommer große Wäsche.
Ein alter Wetterspruch, der sich bisher immer als wahr erwiesen hat. Aber dieses Jahr weiß ich nicht, ob die Eiche oder die Esche eher grünen. Einige Eichen sind schon voller zarter Blätter wie auf dem Foto, einige noch gar nicht. Und die Eschen fangen auch schon an, ihre Blattknospen zu entfalten.

Liebste Astrid, schön an dieser Stelle wieder von dir zu lesen. Danke für deine klugen Worte.
Ja, es braucht Ver-rückte, damit nicht alles bleibt wie es ist, damit es nicht immer mehr von demselben gibt, was uns bisher nicht weitergebracht hat. Und wenn mich jemand verrückt nennt, der noch nicht mal den Mumm hat, seinen wirklichen Namen zu nennen, dann kann ich nur mit den Schultern zucken und weiter das machen, was für mich anliegt.
Das war heute: umgraben, Kletten-, Löwenzahn- und Ampferwurzeln aus der dichten Gartenerde zu sammeln, zu hacken, Kartoffeln und Ringelblumensamen in die Erde legen. Harte körperliche Arbeit, die ich stundenlang durchhalten kann. Das gibt mir ein Gefühl von Befriedigung, birgt aber auch eine Gefahr: daß ich versäume, mir Zeit für Muße zu nehmen. Und ohne Muße keine Träume, kein lustvolles Dasein, keine Aufmerksamkeit für die Überraschungen, die jeder Tag mit sich bringt.
Eine Überraschung gab's dann doch noch:
Herr M., der morgen Kies hinter unserem Haus aufschütten wird, wie meine Nachbarn und ich es uns gewünscht hatten, fragte, ob er mal eben mit seinem Aufsitzrasenmäher meine Wiese mähen sollte, dann hätte ich nicht soviel Arbeit. Na klar wollte ich! Ich hatte schon gesehen und vor allem gehört, daß er auf dem Grundstück gegenüber mit Hingabe gemäht hatte. Abends sah ich beim Gemüseschnippeln zu, wie er durch den Garten fuhr. Die Nachbarjungen drängten sich um das Gefährt. Männer mögen Maschinen, dachte ich und war irgendwie gerührt.
Neulich im Traum war ich im Haus in Kükelühn. Es war menschenleer, alles ganz ordentlich und völlig anders, als ich es kannte. Die Schuhe meiner Nachfolgerin standen in Reih und Glied als einziges menschliches Zeichen. Mit diesem Ort habe ich nichts mehr zu tun, war die Botschaft.
Jetzt ist hier mein Zuhause, und die Venus strahlt in mein Fenster.
Walpurgis-2010-001
Astrid (Gast) - 5. Mai, 08:22

Zu Hause

Hallo Liebe,

bei uns stehen die Eschen (ich hab ja eine direkt vor der Tür) schon in vollstem Blätterkleid ... und aus den Milliarden Löwenzähnen habe ich dieses Jahr Löwenzahnhonig gekocht, eine Delikatesse (und absolutely easy). Dass Männer Maschinen so mögen macht mir meistens immer Angst - aber ich verstehe auch den reiz: Als ich vor Jahren einen Mercedes SLK mit Porschemotor fuhr, war das ein unglaubliches Steigerungsgefühl. Mehr sein. Schneller. Potenter. Eben Macht-voll. War nur eine Illusion, denn mein sprechendes Auto (das mich jeden Morgen mit Namen, gesprochen von einer freundlichen, automatisierten Dame begrüßte) konnte mir leider nicht "sagen", dass mein Kühlwasser alle war. Als Ergebnis hatte ich dann einen kunstvoll zusammen geschmolzenen Motor, ein Stück teuren Müll. Jetzt fahre ich wieder ein altes Auto, niemand schaut mir mehr bewundernd nach, aber ich bin um ein Wissen reicher. Eben tatsächlich reicher.
Zu deiner Wiese fällt mir ein Buch ein, von dem ich gerade gehört habe, ein Andreas Arzt hat es geschrieben, und es heißt: Kluge Pflanzen. Darin ist wohl zu lesen, dass auf einer Wiese jeder Grashalm einen eigenen Ton hat und sie zusammen ein unglaubliches Konzert ergeben - das leider unseren Ohren, die auf andere Frequenzen geeicht sind, unhörbar bleibt (ohne die Mithilfe von Maschinen!). Als ich deinen Text las, stellte ich mir einen überdimensionalen Rasenmäher in einem Konzerthaus vor ...
Ich habe in meinem Garten eine Ecke dem Wildwuchs überlassen - damit das Wild ein meiner Nähe ist und mich immer daran erinnert, welche hier die Gästin ist. Und mein Garten "belohnt" mich, schwingt mit mir in Resonanz, weil tatsächlich der Giersch und die Brennessel diese vereinbahrte Grenze nicht übertreten ... Wenn wir Menschen uns immer so an unsere Zusagen halten würden. Aber dafür sind wir wohl noch nicht hoch entwickelt genug und noch eine Weile auf die Freundlichkeit der uns umgebenden Mitgeschöpfe angewiesen. Und ihre Bereitschaft, uns an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Noch einmal Andreas Arzt: In einer Wiese lebte eine Kolonie Lemminge. Sie fraßen das Gras, und sie schieden die reste aus, und davon nährte sich das Gras. Die Balance war perfekt. Doch dann wurden die Lemminge übermütig und vermehrten sich über eine tragfähige Grenze hinaus. Der Grasbestand nahm rapide ab, und die Ausscheidungen konnten nicht mehr in dem Maße verwertet werden, wie sie entstanden. Da entwickelte das verbliebene Gras ein bestimmtes Eiweiß, das von den Lemmingen nicht mehr verdaut werden konnte. Die Lemminge fraßen zwar das gras, aber si wurden nicht mehr satt. Da verließ über die Hälfte der Lemminge die Wiese und zog an einen anderen Ort. Kaum war die Lemmingpopulation wieder reduziert, ging das neue Eiweiß in den Pflanzen zurück, die Lemminge konnten wieder fressen und satt werden ... Dummes Gras? "Bloß" eine Pflanze ...? In diesem Buch gibt es noch viele solcher Beispiele - von träumend-kommunizierenden Bäumen zum Beispiel, die im Schlaf Duftstoffe aussenden. Von der Petersilie, die den Wind liebt ... und vieles mehr. Ein wunderbares Buch. Und mich hat der Autor gerührt, ein Mann, einst Wissenschaftler, der heute sagt: Wenn er heute über eine Wiese geht, dann kann er kein Gänseblümchen mehr pflücken. Das kenne ich. Seit meiner Kindheit. Und ich trauere um jeden Halm.

Sei geküsst, deine Astrid

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