Donnerstag, 10. März 2011

Flexible Systeme

Lichtmess-2011-078
Aus der neuen Oya erfahre ich, daß der Öko-Textilhersteller Hess-Natur von der amerikanischen Carlyle Group übernommen werden soll. Die Carlyle Group steckt dick im Rüstungsgeschäft. Jetzt gibt es Initiativen der Mitarbeiter und Kunden von Hess Natur, die Firma in eine Genossenschaft umzuwandeln, um den Ausverkauf abzuwenden.
Heute habe ich erfahren, daß der Biodiscounter Erdkorn seinen Mitarbeitern einen Stundenlohn von 7 Euro brutto bezahlt. Erdkorn hat mittlerweile in Kiel das Monopol. Alle anderen Bioläden sind eingegangen. Es gibt Genossenschaftsläden, die aber für mich nicht in Frage kommen, weil meine Einlage das übersteigen würde, was ich monatlich an Geld im Bioladen lasse. Ich besorge nämlich das meiste auf dem Markt, einfach weil ich Märkte schon immer geliebt habe.
Was haben beide Geschichten miteinander zu tun?
Johannes Heimrath schreibt in der Oya, daß das kapitalistische System gelernt hat, flexibel auch auf Protest- und Alternativbewegungen zu reagieren. Das waren zur Zeit von '68 noch ganz anders: damals stand uns das Gesellschaftssystem als monolithischer Block gegenüber.
Von den liebenswürdigen Bioläden der Pionierzeit ist wenig übrig geblieben. Mittlerweile gibt es Discounter auch in der Bioladenbranche, die Aldi, Schlecker und Lidl in puncto Mitarbeiter-Ausbeutung in nichts nachstehen.
Ich weiß noch nicht, was das für mich konkret bedeutet: natürlich möchte ich nicht weiter mein Geld bei Erdkorn lassen (hab mich eh nie wohl gefühlt in diesem Laden). Aber ich will auch nicht 12 km nach Lütjenburg mit dem Auto fahren, nur um meine Hirse, Nüsse und Hülsenfrüchte im dortigen Bioladen zu kaufen.
Sollte Hess Natur wirklich übernommen werden, dann werde ich dort kein einziges Kleidungsstück mehr kaufen. Aber auch da fehlen mir leider die Alternativen, denn alle anderen, die sich Öko-Textilhersteller nennen, erfüllen längst nicht alle Kriterien, die ich für notwendig halte, z.B. fairen Handel.
Andrerseits: wenn das System gelernt hat, flexibel zu sein, dann bin ich es auch. Und nicht nur ich, sondern viele Menschen, die einfach ganz klar wissen, daß es so nicht mehr weitergehen soll, kann und wird. Wir werden also neue Möglichkeiten finden. Eine davon zeichnet sich für mich immer deutlicher ab: sehr genau zu überlegen, was ich wirklich brauche, immer weniger zu kaufen, Dinge zu recyceln, Second Hand-Läden in Anspruch nehmen, Sachen selber nähen.
Was ist wirklich wichtig?
Jutta (Gast) - 11. Mär, 23:17

Ja, das ist schwierig. Hier in Münster ist es ja der Superbiomarkt, der den Bioladen-Sektor fast komplett überrollt hat (und natürlich die Bio-Lebensmittel aus den Supermärkten und Discountern). Ich habe ja eine Weile für die Schoppe gearbeitet, einen der letzten unabhängigen kleinen Bioläden, der dann auch prompt pleite gegangen bzw. von seinem Besitzer aufgegeben worden ist, weil er sich einfach nicht getragen hat. In der Schoppe habe ich 7,50 € die Stunde verdient. Mehr konnte der Besitzer einfach nicht zahlen, der hat eh jeden Monat drauf gezahlt.

Und auch die Bioerzeuger, die es wirklich ernst meinen, haben meist keinen nennenswerten Stundenlohn vorzuweisen. Ich meine, selbst ein konventionell arbeitender Landwirt mit einem relativ großen Hof verdient an der eigentlichen Landwirtschaft ja schon kaum was. Und im Bio-Landbau sind die Margen zwar geringfügig höher, dafür aber die Erträge doch deutlich niedriger, zumindest, wenn Bio eben nicht nur der Aufkleber auf dem Apfel sein soll, sondern neben dem für die Zertifizierung unbedingt notwendigen eben auch auf Aspekte wie Nachhaltigkeit geachtet wird. Die einzigen, die das wirklich ernst nehmen, sind die Demeterhöfe und die finanzieren sich meist nicht über die eigentliche Landwirtschaft, sondern über Fördergelder für Behindertenarbeit, über Seminarbetrieb, Ferien auf dem Bauernhof oder irgendeinem anderen zweiten Standbein. Nicht, dass ich das den Demeter-Betrieben vorwerfe. Im Gegenteil. Ich finde es nur wichtig, im Bewusstsein zu haben, dass selbst die auch für mein Gefühl schon ziemlich teuren Demeter-Produkte eigentlich immer noch billiger verkauft werden, als sie eigentlich verkauft werden müssten, wenn landwirtschaftliche Arbeitskraft irgendwie fair entlohnt werden sollte. Und die Schoppe ist jetzt von Schlickertann übernommen worden (die hatten vorher schon einen Bioladen auf der Warendorfer Straße) und läuft auch nur weiter, weil die jetzt Behinderte beschäftigen und deren Gehälter halt gefördert werden. Das kann es doch nicht sein.

In dem Dorf in Kanada, wo ich auf einem Biohof gewwooft habe, und wo es sehr viele kleine Biobetriebe gab, haben die Biobauern sich ernsthaft überlegt, eine lokale Fair-Trade Initiative zu gründen, weil ihnen nämlich auch nicht viel mehr zum Leben blieb als einem kolumbianischen Kaffeeplantagen-Arbeiter. Ein beliebter Witz war da: Ein Farmer gewinnt 1 Million Dollar in der Lotterie. Ein Reporter fragt ihn: "Was machen Sie denn jetzt mit dem ganzen Geld" "Och", antwortet der Farmer, "ich denke, ich werde einfach weiter farmen bis das Geld verbraucht ist."

Die Biobranche boomt, in Kanada ebenso wie hier. Jedes Jahr feiern die trotz Wirtschaftskrise zweistelliges Umsatzwachstum. Aber bei denen, die die eigentliche Arbeit machen, kommt davon nicht wirklich etwas an. Der Großhandel im Biobereich unterscheidet sich keinen Deut von dem für den normalen Supermarkt. Klar, ist alles irgendwie noch etwas kleiner und überschaubarer, man duzt sich am Telefon und in der Kantine gibt es Bio-Vollwertessen, aber im Endeffekt geht es da auch immer nur um Effizenzsteigerung. Und selbst die Händler und Produzenten, die es anders machen wollen, passen sich auf Dauer entweder an, oder sie gehen unter. Das ist "das System".

Wirklich entkommen kann man dem auch als Verbraucher schlecht. Ich kaufe auch nur noch das allernötigste, überlege mir bei jedem Teil, ob ich das wirklich brauche, ob ich nicht auch was altes reparieren und weiter verwenden kann, oder etwas SecondHand bekomme. Vieles braucht man auch wirklich nicht. Aber essen muss man ja nun mal. So eine richtig befriedigende Lösung hab ich da noch nicht gefunden. Demnächst hab ich dann wenigstens einen richtigen Garten und eigene Hühner (ich bin gerade im Umzug nach Ostfriesland).

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