Donnerstag, 10. Februar 2011

Gewohnheiten

Lichtmess-2011-006
Gewohnheiten können das Leben leicht und angenehm machen: ich habe es mir vor langer Zeit angewöhnt, Ordnung in meinem persönlichen Umfeld zu halten und fühle mich damit wohl. Ich habe mir angewöhnt, gut für mich zu sorgen.
Dann gibt es die Gewohnheiten, die das Leben erschweren: das Rauchen habe ich mir abgewöhnt und mußte in der Folge ganz neue Gewohnheiten entwickeln.
Das Essen von Thunfisch, Krabben, Shrimps habe ich mir abgewöhnt, weil ich nicht für den Tod von Delfinen, die Ausrottung von Fischen, die Flugreisen der Nordseekrabben nach Marokko zum Auspulen und die Verseuchung von ehemaligen Reisfeldern mit Antibiotika und Salz zur Anzucht von Shrimps verantwortlich sein will.
Immer wieder kommen neue Informationen oder Einsichten zu mir, die mich dazu bringen, meine Gewohnheiten zu überprüfen: zum Beispiel denke ich darüber nach, wie es wäre, auf Milchprodukte zu verzichten. Über meinen Boykott der Milch von enthornten Kühen habe ich bereits berichtet. Aber daß auch Bio-Bauern die Kälbchen von der Mutter entfernen, damit deren Milch gleich wieder in den Warenkreislauf kommen kann, finde ich genauso pervers.
Mein morgendlicher Hirsebrei ohne Sahne? Mein mittäglicher Cappucino ohne Milch? Schwer zu denken.

Ich lese in dem interessanten und vielfältigen Buch Wo(men) and Bears - The Gifts of Nature, Culture and Gender Revisited, herausgegeben von Kaarina Kailo. Interessant und empfehlenswert. AkademikerInnen, KünsterInnen, IndianerInnen, Inuit, Sami erzählen etwas zum Thema Bär und Frau/Mensch in den Kulturen des Nordens. Vor einem Jahr beim Seminar mit Ute Schiran ist meine Verbindung zum Bären deutlich geworden (es gab sie bereits in meiner Kindheit, aber dann habe ich sie vergessen).
Ich habe mir früher eine indigene Lehrerin gewünscht. Irgendwie war ich davon überzeugt, daß ich von einer solchen etwas lernen kann, was meine Kultur mir nicht bieten kann. Diese Sehnsucht haben wohl viele Menschen aus unserer entwurzelten weißen Kultur. Mittlerweile glaube ich, daß ich genau hier, in diesem Kulturkreis richtig bin. Ja, wir sind sicher entwurzelter und der Natur viel entfremdeter als noch existierende indigene Kulturen. Umso wichtiger ist es, in den Brunnen der Erinnerung hineinzuschauen, zu träumen, das alte Wissen wieder wach werden zu lassen, das mit der Inquisition scheinbar ausgerottet wurde. Das Übernehmen von Riten der First Nations, sibirischen Schamanen und afrikanischen Voodoo-Praktizierenden scheint mir der falsche Weg zu sein. Ich finde es anregend, von diesen Menschen etwas zu erfahren, aber es ist nie wirklich meins, es passt nie ganz zu mir. Es scheint mir sogar eine Form des Stehlens zu sein, um sich davor zu drücken, eigene Formen zu entwickeln.
Letztes Jahr beim Goddess-Kongress äußerte ich gegenüber der Kräuterfrau Susanne Fischer-Rizzi, daß ich keine indigenen Lehrer gehabt habe wie sie. Da antwortete sie: "Aber du bist doch auch eine Indigene. Wir alle sind das." Recht hat sie! Danke fürs Augenöffnen, Susanne.
Astrid (Gast) - 15. Feb, 20:16

Hingabe

Liebe Marie-Luise,
wie schön, wie spannend, wie bewegend, dass die Ströme sich immer wieder durchziehen, die Farben des gemeinsamen Gewebes ... als ich gerade deine Zeilen las, war ich erstaunt, wie nahe unser Nach-Denken und -Spüren ist: Ich/wir sind hier gerade sehr mit der Frage der "Sicherheiten" beschäftigt, sei es den Gewohnheiten, die Orientierung geben (dazu gehört ja auch z.B., dass ich mich darauf verlassen kann, dass bei einer roten Ampel alle stehen bleiben - oder dass ich bestimmte Fähigkeiten in meinem "Koffer" habe, die ich bei Bedarf hervorziehen kann ...) oder den "gewohnten" Kleidern, in die wir uns kleiden um der Kontinuität unserer Existenz Ausdruck zu verleihen.
Wie das eben so ist, stellt einEr beim Nachgang dieser Forschung unweigerlich fest, dass Gewohnheiten eben auch oft hindern - oder Bedingungen manifestieren, die wir schon lange nicht mehr als sinnvoll oder förderlich erachten. Und dennoch: Können wir ohne "Gewohnheiten" leben, ohne das Eingewohnt/Eingewöhnt sein die Schöpfung bewohnen? Und wenn ja - wie geht das denn überhaupt ohne das wir jeden Tag das "Rad neu erfinden müssen"?
Auf den ersten Blick erscheint es sinnvoll, den Shrimps nicht mehr zu essen, statt Erdöl Bio zu tanken und auf Solarenergie umzusteigen. Doch dann stellt sich das nächste Problem: Vom jahrzehntelang eingefahrenen globalem Handel leben Hunderttausende, die bei einem Boykott mittellos würden, welchEr Bio tanken will nimmt Agarindustrielandschaften in Kauf, die keine Nahrung mehr produzieren können und die Sonnenenergie braucht Speicherbecken, die keinEr vor der Haustür haben will ...
Und wie oft wechseln wir doch nur den Gegenstand der Gewohnheit - statt das Muster selbst, die unbewisste Wiederholung zu durchleuchten, zu verändern - oder anzunehmen als eine der Determinanten, von denen Kant sprach, dass sie das Wesen der Freiheit sind. Oder anders gesprochen: Unsere Feiheit besteht einzig darin, unsere Gebundenheit anzuerkennen.
Wie sähe ein Leben aus, das austritt aus der scheinbaren Polarität von Gewohnheiten, Zwangsmustern und .... was wäre denn überhaupt das Gegenteil von "Gewohntem"? Das Fremde?
Unsere Erkenntnis hier, die ich beitragen kann, ist die Hingabe. Nicht als hehres Ziel, was ja doch auch nur wieder Gewohnheit - oder anders gesprochen - Kontrolle bedeutet, sondern Hingabe an das, was ist. Ja, nicht alle unsere Gewohnheiten sind förderlich, aber eben auch nicht alle stellen ein Hindernis dar.
Hannah Arendt sprach einmal vom "Denken ohne Geländer". Ein in Hingabe gelebtes Leben wäre vielleicht ein "Leben ohne Geländer" und Gartenzaun. Fragt sich nur ob wir mit und in soviel freiem Gelände leben können.

Liebe Güße und Küsse, deine Astrid

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