Astrid (Gast) - 15. Feb, 20:16

Hingabe

Liebe Marie-Luise,
wie schön, wie spannend, wie bewegend, dass die Ströme sich immer wieder durchziehen, die Farben des gemeinsamen Gewebes ... als ich gerade deine Zeilen las, war ich erstaunt, wie nahe unser Nach-Denken und -Spüren ist: Ich/wir sind hier gerade sehr mit der Frage der "Sicherheiten" beschäftigt, sei es den Gewohnheiten, die Orientierung geben (dazu gehört ja auch z.B., dass ich mich darauf verlassen kann, dass bei einer roten Ampel alle stehen bleiben - oder dass ich bestimmte Fähigkeiten in meinem "Koffer" habe, die ich bei Bedarf hervorziehen kann ...) oder den "gewohnten" Kleidern, in die wir uns kleiden um der Kontinuität unserer Existenz Ausdruck zu verleihen.
Wie das eben so ist, stellt einEr beim Nachgang dieser Forschung unweigerlich fest, dass Gewohnheiten eben auch oft hindern - oder Bedingungen manifestieren, die wir schon lange nicht mehr als sinnvoll oder förderlich erachten. Und dennoch: Können wir ohne "Gewohnheiten" leben, ohne das Eingewohnt/Eingewöhnt sein die Schöpfung bewohnen? Und wenn ja - wie geht das denn überhaupt ohne das wir jeden Tag das "Rad neu erfinden müssen"?
Auf den ersten Blick erscheint es sinnvoll, den Shrimps nicht mehr zu essen, statt Erdöl Bio zu tanken und auf Solarenergie umzusteigen. Doch dann stellt sich das nächste Problem: Vom jahrzehntelang eingefahrenen globalem Handel leben Hunderttausende, die bei einem Boykott mittellos würden, welchEr Bio tanken will nimmt Agarindustrielandschaften in Kauf, die keine Nahrung mehr produzieren können und die Sonnenenergie braucht Speicherbecken, die keinEr vor der Haustür haben will ...
Und wie oft wechseln wir doch nur den Gegenstand der Gewohnheit - statt das Muster selbst, die unbewisste Wiederholung zu durchleuchten, zu verändern - oder anzunehmen als eine der Determinanten, von denen Kant sprach, dass sie das Wesen der Freiheit sind. Oder anders gesprochen: Unsere Feiheit besteht einzig darin, unsere Gebundenheit anzuerkennen.
Wie sähe ein Leben aus, das austritt aus der scheinbaren Polarität von Gewohnheiten, Zwangsmustern und .... was wäre denn überhaupt das Gegenteil von "Gewohntem"? Das Fremde?
Unsere Erkenntnis hier, die ich beitragen kann, ist die Hingabe. Nicht als hehres Ziel, was ja doch auch nur wieder Gewohnheit - oder anders gesprochen - Kontrolle bedeutet, sondern Hingabe an das, was ist. Ja, nicht alle unsere Gewohnheiten sind förderlich, aber eben auch nicht alle stellen ein Hindernis dar.
Hannah Arendt sprach einmal vom "Denken ohne Geländer". Ein in Hingabe gelebtes Leben wäre vielleicht ein "Leben ohne Geländer" und Gartenzaun. Fragt sich nur ob wir mit und in soviel freiem Gelände leben können.

Liebe Güße und Küsse, deine Astrid

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