Montag, 15. Mai 2017

Umdenken

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Umdenken, also alte Gewissheiten aufzugeben, ist manchmal ein mühseliger und langwieriger Prozess. Manchmal geht es nach dem ersten Schritt aber auch ganz schnell. Umdenken heißt für mich, das Mainstream-Denken zu hinterfragen und der eigenen Intuition, der inneren Stimme zu folgen.
In den letzten Jahren habe ich mich schwer damit getan, die Bienen regelmäßig durchzusehen, wie ich das im Imkerkurs gelernt habe: Deckel auf, Wachstuch ab, Rauch reinblasen, nacheinander jeden Oberträger mit dranhängender Wabe rausziehen und ansehen. Mir war schon klar, daß das eine ganz massive Störung war, und ich wunderte mich jedes Mal über die Friedfertigkeit der kleinen Tiere.
Im vergangenen Jahr musste ich sogar alle zwei bis drei Wochen diese Prozedur machen, um die Bienen mit Oxalis D7, einem homöopathischen Präparat, zu besprühen. Das sollte gegen die Varroa helfen (hat es nicht, wie sich im September herausstellte). Ich habe dann im Sommer damit aufgehört, als das zweite Volk sehr unruhig wurde und mir die Hände zerstochen hat. Da war irgendwie klar: die wollen das nicht.
Bis vor kurzem war es so kalt, daß ich gar nicht an die Bienen gegangen bin. Aber ich habe letzte Woche endlich beiden Völkern je einen neuen Oberträger zum Ausbauen gegeben und hatte den Plan, die Durchsicht bei wärmeren Temperaturen zu machen.
Wenn ich bei den Bienen saß und sie beobachtete, freute ich mich über die vielen Pollenträgerinnen und die ersten Drohnen dieses Jahres, aber bei dem Gedanken, an ihr Innerstes zu gehen, spürte ich starken Widerstand. Seit ich auf Stiche im Gesicht mit massiven Schwellungen reagiere, die mit und ohne homöopathische Behandlung, Zwiebelauflagen, Wegerichsaft und Bite away (punktgenaue Hitzeanwendung) mich für fünf Tage ziemlich deformieren, arbeite ich mit Schutzkleidung. Nur die Hände bleiben frei. Die Stiche tun für einen Moment weh, aber es sind die Schwellungen, die mich sehr stören. Vielleicht wollte ich deshalb nicht mehr an die Bienen und ihnen nur noch zusehen.
Gestern habe ich mich mal wieder mit der Schweizer Initiative Free the bees beschäftigt (danke für den tollen Tipp, Monika!) Ich fand die Essaysammlung eines erfahrenen Imkers, der das in Imkerkreisen übliche Vorgehen sehr gründlich hinterfragt: http://freethebees.ch/wp-content/uploads/2016/05/ALLERLEI-KRITISCHES-ZUR-BIENENHALTUNG-Hans-Studerus-01-1.pdf
Er beschreibt, wie die Bienen in ständiger Angst leben, weil immer wieder Rauch in ihre Behausung geblasen wird, sie dann Honig für drei Tage zu sich nehmen und sich auf diese Weise fluchtbereit machen, dann müssen sie erleben, wie das Brutnest (er nennt es "das Allerheiligste") beim Ziehen der Oberträger/Rähmchen auseinander genommen wird, und die Angst schwächt sie.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: das Durchsehen, ob jetzt alle zwei Wochen (extremer Stress für die Bienen) oder dreimal zwischen April und September (nicht ganz so schlimmer Stress) entspringt dem Kontrollbedürfnis des Imkers, aber ganz sicher nicht den Bedürfnissen der Bienen. Wenn sie im Wald in einem hohlen Baum leben, kommt keiner und tauscht alte Waben gegen neue aus (was man ja angeblich machen muss) oder hängt vorn und hinten neue Rähmchen ein. Und erst recht kommt keiner und schneidet die Drohnenbrut raus, weil die sowieso nur unnötige Esser sind und außerdem Varroen verbreiten. Und es wird auch nicht zweimal im Jahr Honig entnommen und stattdessen minderwertiger Zucker gefüttert. Die freien Bienen regeln alles selbst. Ich weiß z. B. von einer Imkerkollegin, daß die alten Waben von den Bienen abgeschrotet und dann neue gebaut werden.
Der Verfasser sieht nicht die Varroa, nicht die Ackergifte, nicht den Nahrungsmangel als Hauptursachen des Bienensterbens, sondern die unzähligen Züchtungs- und sonstigen Manipulationsversuche der Imkerschaft. Ich glaube, alles zusammen führt zu der desolaten Situation, die wir jetzt haben.
Früher haben Imker, die Bienen in Körben hielten, ja auch keine einzelnen Waben rausziehen können. Und sie haben nur einmal im Jahr Honig geerntet. Es gibt auch heute noch Systeme, die eine Durchsicht unmöglich machen, z. B. die Warrébeuten und die Bienenkisten.
Nachdem ich den langen Text gelesen hatte, fühlte ich mich plötzlich ganz fröhlich und leicht ums Herz. Ja klar, warum bin ich denn nicht selbst drauf gekommen? Ich habe mich zu den Bienen gesetzt, ihnen beim Fliegen zugeschaut, ihrem friedlichen Summen zugehört und ihnen erzählt, daß ich ab jetzt aufs Durchsehen verzichte, ihren heiligen Raum respektiere und allenfalls mal die äußerste Wabe entnehmen werde, um ein klein wenig Honig zu ernten.
Das fühlt sich richtig gut an.
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