Freitag, 30. Dezember 2016

Den Raum weiten

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Der Stier/das Rind von Lascaux ist ein Geschenk meines Sohnes zu Weihnachten. Auch meine Tochter und ihr Freund waren da, während ich mich über die Feiertage vorwiegend in der Klinik aufhielt. Unglücklicherweise fiel Weihnachten dieses Jahr genau auf mein Dienstwochenende. Am Montagabend brach ein orkanartiger Sturm aus. Auf dem Heimweg fiel bei kräftigem Regen mein rechter Scheibenwischer aus. Wenigstens blieb mir der auf der Fahrerseite.
Seit Mittwoch habe ich frei und genieße endlich die Rauhnächte. Ich habe viele Bücher bekommen. Mit denen von meinem Geburtstag und einigen selbstgekauften habe ich jetzt einen so großen Stapel, daß ich mindestens ein Jahr brauchen werde, um sie zu lesen. Passend zu den Rauhnächten habe ich mir Susanne Wenger - ein Leben mit den Göttern von Gert Chesi vorgenommen. Dieses Buch gibt es nur noch antiquarisch und ich träume schon seit zwanzig Jahren davon, es zu lesen. Susanne Wenger ist als junge Frau nach Nigeria gegangen und dort geblieben. Sie wurde in den Orisha-Kult der Yoruba eingeweiht und wirkte als Künstlerin (der heilige Hain von Oshogbo) und Priesterin. Sie wurde mehr als neunzig Jahre alt.
Beim Lesen dachte ich wieder mal, daß sich Religion/Spiritualität aus der Landschaft heraus entfaltet. Deshalb scheint es mir problematisch, einen fremden Kult zu übernehmen. Wir westlichen Menschen sind in spiritueller (und sonstiger Hinsicht) Entwurzelte, aber die Sehnsucht nach Verbindung zu den vielfältigen Ebenen der Welt bleibt ja bestehen, ob bewusst oder nicht. Die Folge ist, daß wir dazu neigen bei anderen Kulturen zu klauen. Nichts gegen Schwitzhütten- und Pfeifenzeremonien, aber sie gehören eigentlich den First Nations von Nordamerika. Vor vielen Jahren habe ich mal das Buch eines US-Amerikaners gelesen, der sich mit dem Orisha-Kult befasst und die dort üblichen Tieropfer für Weiße so übersetzt: Wenn eine*r einen Wunsch erfüllt bekommen will, soll er Fleisch aus dem Supermarkt kaufen und opfern. Das war bis jetzt das Groteskeste, was ich zur Übernahme fremder Religionen gelesen habe.
Susanne Wenger nennt jede Form von Missionierung, wie sie sowohl durch Christen als auch Moslems in Afrika mehr oder minder massiv praktiziert wurde und immer noch wird, einen schweren Angriff auf die Würde des Menschen. Sehr wahr und klar ausgedrückt!
Die Yoruba auf der anderen Seite haben das Fremde, das zu ihnen kam, integriert. So haben auch christliche und muslimische Elemente in ihrem Pantheon Platz. Das findet man besonders deutlich beim Voodoo der nach Afrika zurückgekehrten ehemaligen Sklaven, bei Macumba und Candomblé in Brasilien und bei der Santería auf Kuba: ihre Altäre sind voller multireligiöser Symbole, sie enthalten sowohl die Wesenheiten ihres Kultes als auch Jesus, Maria und diverse katholische Heilige.
Für mich ist das ein Abbild des Universums, in dem alles Platz hat. Und das wünsche ich mir für unseren irdischen Mikrokosmos ebenso: daß er eine Heimat ist für alle Formen der Rückbindung an die uralten lebendigen Kräfte.
Die Voraussetzung dafür ist die Weitung des eigenen inneren Raums, bis nichts mehr ausgeschlossen sein muss.
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Die Rinder im Naturschutzgebiet am Schmoeler Strand entdeckte ich heute Nachmittag. Es war sehr kalt, und ich hatte dummerweise mein Wolltuch für Kopf und Hals vergessen. Auf dem Rückweg beobachtete ich lange einen rüttelnden Falken und staunte über seine Fähigkeit, mit schnellen Flügelschlägen in der Luft stehen zu bleiben. Ute Schiran setzte die Valkyren mit den Falken gleich und beschrieb sie als Wesenheiten, die im Schwarm auftreten. Diese Interpretation teile ich nicht: in der germanischen Mythologie treten die Valkyren oft in Gruppen auf, die die Toten einsammeln. Aber Falken sind Einzelgänger.

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