Sonntag, 18. Dezember 2016

Schenk-Ökonomie

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Gestern schenkte ich B. eine von meinen Rasseln. Bei mir haben sich im Laufe der Jahre einige angesammelt, aber ich benutze nur die mit der eingebrannten Schlange, die eine junge Frau aus dem Öko-Dorf Sieben Linden gefertigt hat. Ich verschenke sehr gern Dinge, die ich nicht mehr brauche.
Das ist praktizierte Schenk-Ökonomie, und zusätzlich zur Freude, die mir das Schenken macht, macht es mir noch große Spaß, den Wachstumswahn der Wirtschaft nicht zu bedienen.
Vor vielen Jahren habe ich mich durch Genevieve Vaughns Buch For-Giving gekämpft. Da geht es um Schenkökonomie, allerdings ist es wahnsinnig kompliziert geschrieben.
Harald Welzer entwirft ein Zukunftsmodell, in dem es als cool gilt, nichts Neues mehr zu kaufen, kaputte Dinge zu reparieren und Zeit statt Geld zu haben. Leute, die sich teure Luxus-Schlitten kaufen, gelten als uncool. Die Idee gefällt mir.
Wahrscheinlich liegt es an meinem fortgeschrittenen Alter, das mein Interesse an Mode gegen Null geschrumpft ist. Vieles, was als modern gilt, finde ich nicht schön. Außerdem rennen fast alle gleich rum, wenn wieder ein neuer Trend auf den Markt kommt. Immer wichtiger wird mir, daß Sachen aus gutem Material sind und lange halten. So hat sich ein umfangreicher Fundus an Klamotten in meinem Kleiderschrank angesammelt, die schon viele Jahre alt sind. Manchmal rangiere ich etwas aus, was kaputt ist oder was ich nicht mehr tragen möchte.
Ich erinnere mich an meine Jugend, als es schon mal als cool galt, alte Sachen zu tragen. Das war während der Hippiezeit. Man hat alte Kleidung umgefärbt oder mit Perlen bestickt, um sie aufzupeppen. Aber sie durfte ruhig getragen aussehen. So habe ich eine dunkelblaue Strickbluse mit einem schönen Ajourmuster von meiner Mutter weitergetragen.
Früher habe ich sogar meine Socken und Unterwäsche gestopft, wenn da Löcher drin waren. Das war für die Generation meiner Oma und Mutter ganz selbstverständlich.
Ansonsten stricke ich unheimlich gern: es gibt ganz tolle Anleitungen im Internet (ravelry.com). Stricken ist eine uralte Handwerkskunst: sie hält die Hände beschäftigt, und der Geist kann auf Reisen gehen. Eine Strickdesignerin spricht sogar von Stricktherapie - gar nicht so abwegig. Stricken, Weben und Spinnen galten als magische Tätigkeiten: die monotone Tätigkeit kann in einen anderen Bewusstseinszustand führen, in dem Magie gewirkt werden kann. Sehr eindrucksvoll beschreibt Marion Zimmer Bradley das in Die Nebel von Avalon, als Morgaine le Fay am Webstuhl einen tödlichen Zauber wirkt.
Noch mal zur Schenkökonomie: Wenn mir mein Nachbar T. ein stabiles Gestell für den Top bar hive baut, wenn meine Nachbarin M. sich um Skadi kümmert, während ich auf Reisen bin, wenn ich im Gegenzug ihre Blumen gieße und ihre Post aus dem Briefkasten hole, wenn sie weg ist, wenn ich den Geflüchteten in Selent Deutsch beibringe - all das ist Schenkökonomie. Es gibt nicht direkt etwas zurück, es ist kein Tausch. Aber es gibt diese Freude darüber, etwas Gutes und Sinnvolles zu tun, was nicht nur mir selbst, sondern auch den Anderen gut tut. Bei dieser Art von Ökonomie steht Beziehung an erster Stelle, nicht Gewinn, nicht Profitmaximierung.
Irgendwie gehört in diesen Rahmen auch das Paket, das ich von meinem Bruder und meiner Schwägerin aus Schwaben geschickt bekommen habe: Spätzle, Alb-Leisa (Linsen, die in der Schwäbischen Alb angebaut werden), Salzbrezeln. Jetzt überlege ich, was ich den beiden aus dem Norden schicken kann: vielleicht Sauerfleisch im Glas, Kieler Sprotten und Kohlwürste oder die leckeren handgefertigten Pralinen von Schokodeern aus Kiel.
Schenken macht einfach Spaß!
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