Donnerstag, 1. Dezember 2016

Nachruf

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Beim Kaffeetrinken mit den Geflüchteten in Selent erzählte einer meiner Mit-Sprachpaten von der schlechten Presse, die Fidel Castro seit seinem Tod in den Medien bekommen habe. Wenn er die TAZ nicht schon lange gekündigt hätte, wäre jetzt der richtige Moment gewesen.
Ich möchte mal einen positiven Nachruf machen (schönes Wort übrigens: man ruft einem Verstorbenen etwas nach, hinterher):

Daß nicht alle Kubaner mit dem Sturz der Batista-Diktatur durch eine Guerilla-Armee einverstanden waren, versteht sich. Die Privilegierten suchten nach Möglichkeiten, in die USA zu entkommen und von dort aus gegen die sozialistische Regierung unter Fidel Castro, die direkt vor der Haustür der Nordamerikaner ihre eigene Staatsform durchzog, anzuarbeiten.
Kubas Energieversorgung brach mit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion komplett zusammen: kein Erdöl mehr. Und die Kubaner sind nicht in die Knie gegangen, sondern haben eine Lösung gefunden: Biolandbau, Subsistenzwirtschaft. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit. Das könnte uns Europäern auch passieren. Wer sagt denn, daß der Kapitalismus ein sich selbst erhaltendes Wirtschaftssystem ist?
In Kuba gibt es nach allem, was mir Menschen erzählt haben, die dort waren, keinen Hunger. Die Großstadt Havanna versorgt sich zu 70 - 80% selbst. Das kann keine deutsche Stadt. Wenn ich z. B. Linsen oder Bohnen aus deutscher Produktion kaufen will, muss ich lange suchen. Die meisten Hülsenfrüchte kommen aus China, auch Bio-Hülsenfrüchte.
Daß es heutzutage viele junge Kubaner gibt, die sich Jeans und Smartphones wünschen - traurig, aber so ist es: die neoliberalen Trancetechniken wirken global.
Fidel Castro hat sich dem US-Diktat widersetzt; er hat also auf jeden Fall etwas richtig gemacht.

Meine persönliche Politisierung fand übrigens durch die Geschehnisse von 1968 (Tod von Benno Ohnesorg, die Schüsse auf Rudi Dutschke, die hetzerische Springerpresse)) und einen Bericht im Spiegel über den Tod von Che Guevara im bolivianischen Dschungel statt.
Im Nachhinein finde ich es nicht richtig, die revolutionäre Strategie, die in Kuba funktioniert hat, in eine anderes Land zu bringen. Und ebenso glaube ich nicht mehr an die Sinnhaftigkeit von gewalttätigen Umwälzungen. Aber damals eröffneten mir diese mutigen Männer und Frauen (ja, letztere haben damals auch an vorderster Front gekämpft, z. B. Celia Sánchez, die heute noch in Kuba sehr verehrt wird) einen neuen Horizont. Eine Zeitlang träumte ich ernsthaft daran, Berufsrevolutionärin zu werden und mich an der Waffe ausbilden zu lassen (wie gut, daß dieser Traum nicht in Erfüllung gegangen ist!!!). Freiheit war mein Lebensthema (und ist es sicher immer noch auf irgendeine Weise), sowohl meine persönliche als auch die aller Menschen.
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