Sonntag, 6. Dezember 2015

Riders on the Storm...

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...war eins von den Doors-Stücken, die mich in den 80er Jahren, als ich endlich Kopf und Körper frei für die Musik hatte, elektrisierte. Heute morgen dachte ich daran, als ich aus dem Küchenfenster zwei Seeadler am Sturmhimmel miteinander tanzen sah. Sie genossen den Sturm, das war offensichtlich.
Sind wir nicht alle Sturmreiter, auf die eine oder andere Weise? Sturm hat etwas Überraschendes: er kann alles um- und durcheinander werfen, er kann seine zerstörerische Kraft auf Straßen, in Wäldern und Siedlungen entfalten, er fordert Aufmerksamkeit. In der Stadt bemerke ich ihn weniger, aber hier auf dem Lande ist er unüberhörbar, sorgt für dramatische Himmelsanblicke und zwingt mich, die Planen über dem Brennholzstapel und die Abdeckung der Top bar hives zu sichern.
Das ganze Leben ist ein Sturm, wirft uns hier hin und da hin, bringt gewohnte Ordnungen durcheinander, zwingt uns zu neuer Orientierung.
Bei meinem heutigen Spaziergang sah ich einen sehr großen Schwarm Wildgänse dicht über dem Land, nicht im ordentlichen Keil, wie das sonst ihre Art ist, sondern im großen lärmenden Pulk. Migratory birds heißen Zugvögel auf Englisch. Migration geschieht zur Zeit in gigantischem Ausmaß: menschliche Schwärme kommen zu uns, anders als die Zugvögel nicht aus biologischen Gegebenheiten sondern wegen Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit.
Nachdem B. und ich gestern eifrig versuchten, aus dem Wachs von B.s Bienen Kerzen zu fertigen (zumindest wissen wir jetzt, was wir beim nächsten Mal besser machen werden), fuhren wir abends nach Plön. Dort spielte ein Freund von B. mit seiner Band in einer Unterkunft für Geflüchtete (ich mag das Wort Flüchtlinge nicht). Als wir ankamen, war die Musik schon im vollen Gange. Also schwangen wir gleich das Tanzbein. Hat Spaß gemacht: einfach sich der Musik hingeben und den Körper sich von selbst bewegen lassen. Während des Tanzflows konnte ich die vielen jungen Männer aus dem Irak, Syrien, Eritrea und Afghanistan ansehen, ihre Freude, ihre Ausgelassenheit, auch stille Gesichter mit verschatteten Augen gab es. Als die Musiker ihre Sachen zusammen packten, wurden sie umarmt und geherzt. Ein Mann aus dem Irak sprach mich an. Er konnte ziemlich gut Deutsch, obwohl er erst seit fünf Monaten hier ist. Er bedankte sich für die Aufnahme, die er in Deutschland gefunden hat und machte mich damit etwas verlegen. Dann schenkte er B. und mir einen Schokoladennikolaus und sagte uns, wie der Nikolaus im Irak genannt wird.
Ich freue mich sehr, daß ich als Sprachpatin in Selent einen Teil dazu beitragen kann, daß diese Menschen hier gut ankommen können.
Es gibt immer wieder Befremden darüber, daß es überwiegend Männer sind. Einige sagen sogar, diese Leute überlassen ihre Frauen und Kinder dem IS. Aber es scheint ein anderes Verständnis dahinter zu stecken: diese Männer sind sozusagen die Vorhut, sie wollen alles vorbereiten, damit ihre Familien nachkommen können. Welch eine ungeheuerliche Grausamkeit unserer herrschenden Kaste, daß sie ihnen genau das jetzt verwehren wollen!
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Meine Tochter las mir kürzlich aus der Rede von Barack Obama anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises im Originaltext vor:
Er sagte, daß dieser Preis für ihn die Bestätigung dafür sei, daß den USA die Führungsrolle in der Weltpolitik zukomme.
Mir wird schlecht, wenn ich sowas höre. Nicht nur, daß ich als Angehörige des deutschen Volkes weiß, daß wir mehr als genug einschlägige Erfahrungen mit Führern haben und absolut keine weiteren brauchen. Aber eine Nation, die ihre eigenen Rassenprobleme nicht in den Griff bekommt, die ihren Bürgern erlaubt, Waffen zu besitzen und zu deren Alltag Amokläufe und Selbstjustiz gehören, die darüber hinaus seit dem Beginn ihrer Existenz fast ununterbrochen Krieg zunächst gegen die First Nations, dann in aller Welt führt, die soll sich gefälligst nur und ausschließlich um den Dreck vor ihrer eigenen Haustür kümmern.
Immer wenn Leute meinen, sie wüssten, was für andere gut sei, kommt nichts Gutes dabei raus. Das sehen wir ja gerade im arabischen Raum, wo die Amerikaner mit ihren Kriegen für völlige Destabilisierung gesorgt haben. Daß die deutsche Regierung im Eilverfahren ihre Mitbeteiligung am Krieg in Syrien beschlossen hat, zeigt leider: nix gelernt aus Afghanistan.
Und wenn Mark Zuckerberg sein Vermögen in eine Stiftung überführt, die die Welt besser machen soll, wird mir auch flau: was besser ist, bestimmt dann wohl er, oder?! Wir wissen ja: wo das Geld ist, ist die Macht.
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