Herbstanfang

Den Herbst haben wir mit fünf Frauen wunderschön am See ohne Namen, den ich jetzt den Vogelsee nennen werde, begrüßt. Hunderte von Kormoranen erhoben sich, als wir uns näherten, die Schwäne betrachteten unser Treiben aus sicherer Entfernung, Wildgänse flogen schreiend über uns hinweg. Es regnete, aber wir wurden durch die Blätterdächer der alten Eichen geschützt, und am Ende des Rituals leuchtete der Westhimmel in einem schönen Rosarot, während am Osthimmel ein Regenbogen strahlte.
Bei Regenwetter trinke ich meinen Milchkaffee mittlerweile im Holzschuppen und sehe hinaus in die Weite. Die Buchen und Eichen am Waldrand bewegen sich im Sturm. Ich fühle, daß sie es mögen, so durchgeschüttelt zu werden. Ihre Stämme werden hier im Norden durch den ständigen Wind stark und dick. Schon als Kind ergriff mich eine freudige Aufregung, wenn es stürmte. Sturm habe ich immer als ein Lebewesen empfunden. Die alten Mythen beschreiben die vier Winde als Persönlichkeiten.
Ansonsten habe ich viel Arbeit. Die Vorbereitung des Godentreffens wird zu einer Herausforderung für mich. Da müssen Entscheidungen getroffen werden, die mir Enge bereiten. Welche Frauen dürfen neu dazu kommen? Kann ich das überhaupt entscheiden? Die telefonischen Beratungen mit den beiden anderen Vorbereiterinnen bringen keine neue Klarheit. Drei Frauen, drei Sichtweisen. Welche ist die richtige? Letztendlich entscheide ich mich für die Öffnung, und sofort weitet sich etwas in mir. Ah, da scheint es lang zu gehen!
Dann frage ich mich selbst: entspricht es mir, in solchen Gruppen mitzumachen? Wird das Leben für mich und alle Wesen besser, wenn ich mich in diesen Zusammenhängen engagiere?
Es ist ein Gang durchs Labyrinth: der Weg führt eben nicht linear von A nach B. In Windungen und Kreisen entfernt er sich mal von der Mitte, um sich ihr dann wieder zu nähern. Und habe ich die Mitte einmal erreicht, bewege ich mich schon wieder aus ihr heraus.
Wenn man Umwege macht, lernt man die Landschaft besser kennen. Danke, Christina, für diesen schönen Spruch.
Marie-Luise - 29. Sep, 21:40