Sturm


Die Raunächte sind vorbei. Am 6. Januar, dem Tag der Percht oder Holle (daraus wurde später der Dreikönigstag), habe ich meine Wohnung mit Salbei ausgeräuchert und mit Kreide die Initialen der drei Helferinnen Catharina, Margarete und Barbara als Schutzzeichen neben die Haustür geschrieben. Die Idee habe ich von Ute Schiran, die sich vor Jahren überlegt hatte, wie sie das in katholischen Gegenden übliche Kreidezeichen heidnisch ummünzen könnte.
Diese drei Frauen repräsentieren die dreifaltige Göttin und wurden in Süddeutschland zu Heiligen gemacht wie alle vorchristlichen Gestalten, von denen das Volk nicht lassen wollte.
Den ganzen Tag stürmt es hier schon, als wäre die Percht noch mit ihrer wilden Jagd unterwegs. Ich sah fasziniert zu, wie der Schnee waagerecht durch die Luft geblasen und zu hohen Wehen aufgetürmt wurde. Weil ich Sturm so sehr liebe, mußte ich natürlich raus, gut eingemummelt in Wolltuch und Fellhandschuhe, und ging unbekannte Wege am Gut entlang durch den Wald. Auf dem Rückweg beobachtete mich ein Rudel Damhirsche mit schwarzem Winterfell - und ich sie. Als ich meinen Fotoapparat zückte, ergriffen sie die Flucht.
Eine Frau grüßte mich freundlich. Immer wieder fällt mir diese Freundlichkeit hier auf.
Es scheint an diesem Ort zu liegen, der eine so friedliche und schöne Ausstrahlung hat. Wieder war ich ganz dankbar, daß das Leben mich hierher gebracht hat.
In Avestas lesenswerter Broschüre "Alteuropäische Todesgöttinnen" (erhältlich über www.arkuna.de) las ich Ausschnitte aus einem Gedicht des walisischen Barden Taliesin aus dem 6. Jahrhundert, das den Wiedergeburtsglauben unserer Ahnen beschreibt. Ich zitiere es aus Robert Ranke-Graves "Weißer Göttin":
Ich war in vielen Gestalten,
bevor ich die passende Form fand.
Ich war die schmale Klinge des Schwertes.
...
Ich war ein Tropfen in der Luft.
Ich war ein leuchtender Stern.
Ich war ein Wort in einem Buch.
...
Ich war ein Licht in einer Lampe.
Ein und einhalb Jahr.
Ich war eine Brücke zum Überschreiten
von dreimal zwanzig Flüssen.
Ich bin gereist als Adler.
Ich war ein Schiff auf dem Meer.
Ich war ein Führer in der Schlacht.
Ich war das Band an eines Kindes Wickeltuch.
Ich war das Schwert in der Hand.
Ich war ein Schild im Kampf.
Ich war die Saite einer Harfe
...
Diese Zeilen berühren mich sehr. Ja, auch ich bin davon überzeugt, daß wir alles sind, immer wieder die Gestalt wechseln und deshalb auch fähig sind, uns in alle Wesen einzufühlen, weil sie uns nicht wirklich fremd sein können.
Marie-Luise - 9. Jan, 22:29

Das Gedicht spricht mich ebenfalls sehr an.
LG aus dem kalten Berlin
Alchemilla mit den Kindern, die sich weiteren Schnee wünschen