Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten

Mit diesem Sponti-Spruch halte ich es schon seit ich wahlberechtigt bin, sehr zur Empörung einiger meiner FreundInnen. Tatsächlich bin ich davon überzeugt, daß die wirklichen Veränderungen im Sinne von Verbesserungen von unten kommen, von denen, die sich aus alten Denkmustern herausbewegen, die sich überhaupt bewegen, die Weite in ihrem Denken zulassen. Veränderungen scheinen zu geschehen, wenn Menschen sich von alten schädlichen Gewohnheiten verabschieden und das Risiko eingehen, Pfade zu gehen, die noch gar nicht angelegt sind. Ich glaube nicht an Menschen, die uns vor irgendetwas retten, und am wenigsten glaube ich an Politiker. Menschen, die sich einmal in das Feld politischer Macht begeben, verändern sich auf ihnen selbst vielleicht gar nicht offensichtliche Weise und entfernen sich letztendlich von sich selbst und ihren eigentlichen Vorhaben. Sehr plastisch haben das die Grünen vorgeführt, als sie an die Regierung kamen. Da wurde aus einer pazifistischen Partei plötzlich eine, die das ehemalige Jugoslawien bombardieren ließ.
Zu den jungen Leuten, die jetzt angeblich die FDP gewählt haben sollen, fällt mir ein: sie haben Tschernobyl nicht mitgekriegt. Deshalb scheint es für sie kein Problem zu sein, daß sich die FDP für eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke einsetzt.
Aber ich habe Tschernobyl mitgekriegt: meine Tochter ging noch in den Kindergarten. Plötzlich wußte keiner mehr, was zu tun war: Gemüse essen oder nicht, sein Kind im Sand spielen lassen oder nicht - es war doch alles kontaminiert. Alle liefen herum wie die kopflosen Hühner. Und in mir war eine mörderische Wut. Hatte es doch genug Warnungen gegeben, daß es mal zum sogenannten Super-GAU kommen würde.
Stellt sich die Frage: woraus lernen wir? Warum machen wir als Gattung und als Einzelne immer wieder die gleichen Fehler, obwohl etwas in uns weiß, daß es Fehler sind? Und doch gibt es Menschen, die irgendwann in ihrem Leben, nach der x-ten leidvollen Erfahrung, so nicht mehr weitergehen wollen und dann auch die Mittel, Menschen und Wege finden, ihre Richtung zu ändern. Ich habe es selbst erlebt und höre immer deutlicher diese innere Stimme.
Oben auf dem Foto ist ein Teil meines neuen Gartens.
Marie-Luise - 30. Sep, 22:26

Geht mir ähnlich
ich bin auch überzeugte Nichtwählerin, weil ich glaube, dass der Fehler im System liegt (oder vielleicht darin, dass wir glauben, etwas so komplexes und konkretes wie Zusammenleben durch etwas so abstraktes wie ein "System" lösen zu können). Und obwohl ich glaube, dass es im Endeffekt keinen großen Unterschied macht, welche Politiker da jetzt in Parlament und Regierung sitzen, habe ich bei dem Wahlergebnis dann heftig mit den Zähnen geknirscht. Weniger wegen der Politiker nämlich (die ja eher austauschbar sind), sondern wegen der "Wählermeinung", die sich in dem Ergebnis wiederspiegelt.
Irgendwie habe ich so viele korrekte Leute in meinem Freundeskreis, dass ich mich im Alltag in so einer Blase von Vernunft bewege und darum immer wieder fälschlicherweise den Eindruck gewinne, dass sich doch bald etwas in Bewegung setzen muss, weil so viele Leute anfangen, etwas zu begreifen. Und dann kommt so eine Wahl und ich merke, dass es doch insgesamt viel zu wenig Leute sind und ich nur das Glück habe, ein so nettes Umfeld zu haben.
Andererseits bin ich inzwischen auf dem Trichter, dass echte Veränderung sowieso nur im kleinen Rahmen und im eigenen Umfeld beginnen kann und baue dann eben in meiner unmittelbaren Nähe daran, die Welt irgendwie schöner und liebenswerter zu machen. Aber 14,2 % FDP ... das kann man einfach nicht gut finden. Und Atomkraftwerke natürlich auch nicht. (Tschernobyl war das Ende sämtlicher Biogarten-Aktionen meiner Eltern)
Liebe Grüße aus Münster,
Jutta