Kicks und thrills

Das Bilsenkraut hat sich auf meinem Balkon selbst ausgesät: eins wächst im Kasten zusammen mit der Petersilie, eines im Rosmarintopf. Und eine Tomatenpflanze wuchs auch plötzlich, ohne daß ich etwas dafür getan hatte. Es ist mir eine Ehre, diese Nachtschattengewächse in meiner Nähe zu haben.
Eine Freundin erzählte von ihrem Hang zum Drama: nur dann fühlte sich ihr Leben spannend an. Ein Freund berichtete von seiner früheren Lust am Leiden.
Während ich beiden zuhörte, erinnerte ich mich daran, daß ich vor vielen Jahren auch fest davon überzeugt war, daß mein Leben nur dann lohnenswert wäre, wenn ich meine regelmäßigen Kicks und Thrills hatte. Das war dann häufig Stress, meistens in Beziehungen, aber auch Power-Musik, die etwas in mir antickte und mich zum Tanzen brachte, ein neuer Lover, aufregender Sex usw. Ich lebte so, daß mein Adrenalinspiegel immer ziemlich hoch war, schlief wenig, rauchte viel und regte mich gern auf. Der Preis war, daß ich nach diesen exzessiven Phasen in tiefe Löcher von Leere und Sinnlosigkeit fiel und dann natürlich schnell wieder meine Kicks haben wollte und auch bekam.
Ich weiß nicht, wann sich das geändert hat. Es ist unmerklich gekommen, vor Jahren schon. Das Bedürfnis nach dieser Art von Rausch ist einfach peu à peu verschwunden. Und jetzt, wo es mir auffällt, merke ich, daß mir nichts fehlt. Es fühlt sich gut an. Ich erlebe immer noch viel, aber das hat eine ruhigere Qualität, ist freundlicher, brennt mich nicht mehr aus, nährt mich eher.
Sicher nehme ich die täglichen kleinen und manchmal auch großen Freuden viel deutlicher wahr, weil ich mich ganz bewußt darin übe, dankbar zu sein.
Ich finde es erfreulich zu sehen, daß Veränderung möglich ist.
Marie-Luise - 15. Jul, 22:27
