Rhön

Zusammen mit meiner Tochter und ihrem Freund habe ich in der letzten Woche die Rhön erkundet, erwandert, genossen. Ich möchte gern im nächsten Jahr eine Kräuterexkursion über mehrere Tage machen. Näheres kommt, sobald ich mich auf einen konkreten Termin mit unserer Gastgeberin geeinigt habe.
Wir hatten an allen drei Tagen ab Mittag, nachdem sich der Hochnebel verzogen hatte, Sonnenschein.
Die Rhön sieht ja so sanfthügelig aus, aber die Berge haben es aufstiegsmäßig dann doch in sich. Ich hatte jedenfalls einen gigantischen Muskelkater an den erstaunlichsten Stellen. Wenn ich mich aus dem Sitzen erhob, war ich so steif, daß ich dachte, jetzt geht gar nichts mehr. Aber wenn ich einmal am Gehen war, ging es.
Am ersten Tag haben wir den Schafstein bestiegen. Ich hatte ihn ausgesucht, weil er von unserem Ort aus zu Fuß zu erreichen war. Zunächst ging es durch mit lila blühenden Herbstzeitlosen übersäte Wiesen. Ab und zu sahen wir Kühe, sogar viele gehörnte und zwei Kälbchen, die bei ihren Müttern sein durften. Irgendwann hatten wir dann die Kernzone des Naturschutzgebiets um den Schafstein erreicht und betraten ein magisches Reich: einen Wald, der seit etwa 20 Jahren sich selbst überlassen wird. Es gibt Wanderwege, die nicht verlassen werden sollen. Rechts und links davon kann die Wildnis sich ausbreiten. Hier begriff ich zum ersten Mal ganz anschaulich, was es mit dem Begriff Ver-wesen auf sich hat: ein Wesen geht in einen anderen Wesenszustand über. Die sterbenden Bäume sind Nahrung für eine Vielfalt an Pilzen in den erstaunlichsten Farben und Formen. Käfer verwerten das, was sie am Boden an organischem Material finden. Der Tod ist nur ein großer Umwandlungsprozess und somit nicht das Ende, sondern ein Teil des Lebens. Alles war so friedlich. Zwischen den moosüberwachsenen Wurzeln, den Farnen und auf den vermodernden Baumstämmen ahnte ich kleine Völker, sichtbare und unsichtbare. Für mich ist dieser Wald ein Feenwald.

Auf dem Gipfel angekommen, begegneten wir einer Gruppe älterer Männer, die noch ein weite Wanderung vor sich hatten. Sie räumten die einzige Bank für uns und verabschiedeten sich sehr freundlich. Die Bank stand am Rand eines riesigen Steinfeldes. Geologen nennen so was Blockmeer. Die Rhön war vor sehr langer Zeit vulkanisch. Die Lava erstarrte im Berg zu hohen vieleckigen Basaltsäulen. Der Frost der Eiszeiten sprengte die Säulen an einigen Stellen in Blöcke, die sich wie ein steinerner Wasserfall über den Hang ergossen. Teilweise erinnerte mich die Landschaft an Lanzarote mit seinen schwarzen Lavawüsten.

Am zweiten Tag besuchten wir das Rote Moor und die Kaskadenschlucht und vor unserer Abreise bestiegen wir den Gangolfsberg, wo die Basaltsäulen durch die Auffaltung der Gebirge horizontal gelegt wurden.

Wieder einmal dachte ich, daß ich weder Tempel noch Kirche brauche. Daß es etwas Größeres gibt als uns, wird an solchen Orten unüberseh-fühlbar. Ich kann dann nur immer WowWowWow! sagen.
Schön waren auch unsere Picknicks: es ist schon erstaunlich, welchen Appetit eine entwickelt, wenn sie stundenlang bergauf bergab läuft. Zweimal kehrten wir in einer Hütte ein und aßen sehr leckeren Kuchen.
Wenn wir abends matt und satt in der großen Küche unserer Ferienwohnung saßen, las ich aus Pippi Langstrumpf vor - immer noch ein wunderbar anarchistisches Kinderbuch!
Marie-Luise - 1. Okt, 20:49