Antwort - Schwarzerden

Es freut mich, Frank, daß mein Blog dich angeregt hat, ein eigenes anzulegen.
Zu deinem Post: du schreibst über die in deinen Augen mangelnde Selbstverantwortung der Frauen, was ihre Situation in einem patriarchalen System angeht. Das ist ein sehr großes Thema, über das viele Worte gemacht werden könnten. Ich versuch's mal mit nicht ganz so vielen.
Nach meiner Erfahrung ändern sich unerwünschte Verhältnisse nur dann, wenn die eigene Verantwortung dafür angenommen wird. Die Frauenbewegung brauchte eine Zeit des Anklagens, des An-den-Pranger-stellens. Daß Männer als Täter gesehen wurden, Frauen sich selbst als Opfer sahen, war der erste Schritt. Gleichzeitig haben in den Anfängen der Frauenbewegung schon viele nach neuen Möglichkeiten gesucht. Das war der Anfang von Selbstverantwortung.
Natürlich haben viele Frauen ihre eigene Unterdrückung mitgetragen: die Gehirnwäsche des Patriarchats geht sehr tief und kann erst nach und nach durchschaut werden. Auf einer Studienfahrt kurz vor meinem Abitur 1972 wurde ich Zeugin, wie meine damalige Sportlehrerin einen kleinen weinenden Jungen auf der Straße zurecht wies: "Jungen weinen doch nicht!" Das war damals die vorherrschende Sicht. Die Folge war eine Generation von emotional verkrüppelten Männern, die früh gelernt hatten, ihren lebendigen Kern unter einer dicken Schicht von Nicht-Fühlen zu begraben. Wahrscheinlich braucht es genau solche Männer (und mittlerweile auch Frauen), um Kriege führen zu können.
Ja, Frauen haben Anteil an der Erziehung ihrer Söhne. Vergessen wir aber auch nicht, daß Jungen auch Männer brauchen, die sich ehrlich für sie interessieren und sie einfach gern haben.
Und immer noch wahr und wichtig: es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.
In der Rhön fiel mir ein Hinweisschild nach Schwarzerden ein. Ute Schiran hatte diesen Ort erwähnt, als sie uns bei Alma mater ein paar Körperübungen zeigte (die ich seitdem in mein Repertoire aufgenommen habe). Weil der Ortsname etwas in mir angerührt hat, habe ich gegoogelt: Schwarzerden wurde in den spannenden 20er Jahren des letzten Jahrhunderts von drei Frauen besiedelt, die aus der Jugend- und Lebensreformbewegung stammten und dort ein naturnahes Selbstversorgerleben zu führten und Mädchen in "sozial angewandter Gymnastik und Körperpflege zu unterrichteten". Welche sich für mehr interessiert:
http://www.schwarzerden.de/wp-content/uploads/2012/01/FestschriftEndred.pdf
Auch im nicht weit entfernten Loheland waren es zwei Frauen, die ein ähnliches Projekt ins Leben riefen, das noch immer existiert. Ich bin fasziniert, was in dieser Zeit nach dem 1. Weltkrieg am Aufblühen war, wie energiegeladen und radikal die damaligen jungen Frauen ihr Leben in die Hände nahmen und etwas völlig Neues auf die Beine stellten (ja, auch tolle Männer waren damals dabei). Dann kamen die Nazis und machten alles zunichte (und konnten es nur deshalb, weil sie von einem großen Teil des Volkes getragen wurden).

Marie-Luise - 16. Jun, 23:30