Natur

Heute habe ich den ganzen Tag im Garten verbracht. Endlich mal warmes Wetter ohne Regen, so konnte ich mich um meinen verwilderten Gemüsegarten kümmern: Die letzten dicken Bohnen und Erbsen abernten, auf den frei gewordenen Platz Erdbeerableger pflanzen, die erste Reihe Kartoffeln ausgraben (die sind superdick dieses Jahr), die Rose und den Lavendel einpflanzen, die ich geschenkt bekommen habe, zwischendurch einen kurzen Schnack mit einer Dorfbewohnerin halten, Petersilie und Radieschen aussäen, einen etwas längeren Schnack mit meiner Nachbarin halten, Kaffee trinken und in die Landschaft schauen, den sonoren Rufen der Raben zuhören und sie wegen ihrer lebenslängllichen Paarbindung beneiden.
Katharina hat am Sonntag J. mit meinem Auto besucht, und ihre Erzählungen haben mir mal wieder sowohl die Unausweichlichkeit der Trennung in Erinnerung gebracht wie auch mein Bedauern über diese Unausweichlichkeit hoch gekocht.
Da war Gartenarbeit genau das Richtige für mein Gemüt.

Ich lese gerade von Andreas Weber Mehr Matsch - Kinder brauchen Natur. Sehr schön und einleuchtend geschrieben, teilweise sehr anrührend.
Ich fühle mich beim Lesen immer wieder in meine Kindheit zurückversetzt, vor allem die Ferienzeiten bei Oma und Opa im Solling, das Streunen durch den Wald und über die Wiesen, die dicke Dunje-Eiche, die Hasen, die Pferde vom Milchmann, die Hühner der Nachbarin. Auch die wilden kleinen Blumen in den Alpen, die ich bei unseren Bergwanderungen fand. Die Schafe, die zu mir kamen, wenn ich nur lange genug geduldig am Zaun stand, und die Kühe, die damals alle noch Hörner hatten, nach warmem Heu dufteten und ihre weichen feuchten Lippen in meine Hand legten. Aber auch in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es freie Natur: die besenartigen Beifuß-Büsche auf den Trümmern vom Krieg, wo wir verbotenerweise spielten, und die Erdameisen auf dem Spielplatz, die mein Vater mit einer Schaufel freilegte, um sie mir zu zeigen.
Nicht nur Kinder brauchen Natur, wilde Natur, auch Erwachsene - jeder Mensch, davon bin ich überzeugt. Die schrecklichste Trauer, die größte Verwirrung, den heftigsten Ärger habe ich mit Hilfe der Natur bewältigt. Gerade in den letzten Jahren mit J., als keine guten Gespräche mehr möglich waren, haben mich der Garten, das Draußen-Sein und die wilden Pflanzen getröstet.
Ich bin dankbar, daß ich in einer Familie und Umgebung aufgewachsen bin, in der unmittelbarer Kontakt mit der Natur möglich war.
Marie-Luise - 24. Aug, 22:04
Draußen sein
Aber als ich dann erstmal draußen war und mit den Händen im Boden steckte, fand ich es ganz toll. Ich habe den ganzen Tag gerackert und war sowohl stolz auf das Ergebnis als auch darauf, dass mein Körper das eben doch mitmacht, dass ich stark genug bin, einen ganzen Tag mit Spaten, Rechen und Handrasenmäher herum zu fuhrwerken. Zwischendurch habe ich rote Bete geerntet und zum Mittagessen gekocht, mich mit einem Tagpfauenauge unterhalten und ein paar von unseren Himbeeren genascht. Dann hat uns auch noch eine Nachbarin einen Eimer voller selbstgeernteter Birnen geschenkt. Abends war ich totmüde, aber eben auch voller Eindrücke und irgendwie voller ruhiger friedlicher Energie. Lebendig.