Dienstag, 21. Juni 2011

Sehen und Nicht-Sehen

Litha-2011-002
Mein Sohn schickte mir einen Link zu einem Artikel, der kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist: http://www.sueddeutsche.de/kultur/ns-zeit-verbrechen-waren-bekannt-aus-den-graeben-kamen-schreie-1.1108170
Ein Mann hat in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts akribisch Tagebuch geführt über die Taten der Nazis und der deutschen Bevölkerung. Was wir ja schon immer wußten, wird hier noch mal bestätigt: die Menschen wußten durchaus, daß ihre jüdischen Mitbürger systematisch umgebracht wurden. Keiner kann sich damit rausreden: ich habe nichts gewußt. Sie haben es gewußt, aber sie wollten nichts wissen. Wie oft geschieht das? Wer kennt es nicht selbst: ich bekomme mit, daß in meinem Umkreis etwas schräg läuft, aber ich blende es sofort wieder aus. Anders ist nicht zu erklären, was so oft passiert: sexuelle Übergriffe auf Frauen und Kinder, Völkermorde, Massenvergewaltigung als Mittel der Kriegsführung - ich will es gar nicht alles aufführen.
Wir kennen das auch im Kleinen: das Sich-Schönreden von Situationen, die nicht schön sind, das Aushalten an Arbeitsplätzen, in denen die schiere Ausbeutung läuft, das Bleiben in Ehen, die tot oder häßlich geworden sind usw.
Sicherlich gehört die Fähigkeit des Verdrängens, des Ausblenden zu den menschlichen Überlebensstrategien und muß als solche gewürdigt werden. Und wann ist es an der Zeit zu erkennen, daß alte Strategien schaden?

Einen Tag nach dem Artikel fand ich folgendes Zitat:
"Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere." (Theodor W. Adorno)

Da hat der alte Philosoph ein wahres Wort gesprochen.

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