Wildnis

Ich machte eine kleine Fahrradtour zur Kiesgrube, um Huflattich zu sammeln. Welch eine Pracht: der Pfad führte durch einen Artemisia-Wald zum Wasser herunter, vorbei an Fingerhut, Natternkopf, Königskerzen, Johanniskraut kurz vorm Aufblühen, überraschenderweise einigen Ringelblumen, leuchtendblauer Ochsenzunge und den riesigen Bärenklau-Pflanzen, auch Herkules-Staude genannt. Sie wirken auf mich wie große Wächterinnen, denn ihre Gestalt hat schon etwas an sich, was sagt: komm mir nicht zu nah.
Ich finde sie sehr schön. Die schirmgroßen Blüten waren voller Honigbienen. Das allein ist schon ein Grund, die Pflanzen zu lassen. Ich kann mich erinnern, daß auch sie vor einigen Jahren mal Gegenstand der regelmäßig aufwallenden Hysterie gegenüber eingewanderten Pflanzen waren: es wurde zu ihrer Vernichtung aufgerufen. Eine meiner Nachbarinnen in Kükelühn spritzte sie mit ihrer Giftspritze kaputt. Wenn diese Pflanzen wirklich zu Problem werden, können die Blütenstiele gekappt werden, bevor sie aufblühen. Die Pflanze ist wie alle Doldenblütler zweijährig und kommt im nächsten Jahr nicht mehr wieder. Nach einigen Jahren hat man keine Herkulesstauden mehr.
Ansonsten kann man seinen Kindern beibringen, daß es zu unangenehmen Hauterscheinungen kommen kann, wenn sie die Pflanze anfassen. So wie ich als Kind gelernt habe, daß ich Tollkirschen nicht essen sollte.
Heute bekam ich eine Mail, daß EHEC im Labor gezüchtet worden sein könnte. Ich halte das für möglich, weil ich einer Gattung, die biologische, chemische und Atomwaffen herstellt, alles zutraue. Natürlich kann es auch ganz anders sein: vielleicht handelt es sich um ein sehr kluges Bakterium, was einfach keine Lust auf Antibiotika hat. Wie auch immer: Sprossen esse ich schon lange nicht mehr, jedenfalls nicht roh. Weil die Sprossen ohne Erde wachsen, müssen sich die Wurzeln schützen, indem sie giftige Stoffe bilden. Ist ja eigentlich logisch. Ja, und wie Escheria coli auf die Sprossen kam, weiß ich auch nicht. Aber da gibt es ja viele Möglichkeiten.
Ich esse jedenfalls weiterhin alles, was ich gern mag.

Marie-Luise - 13. Jun, 22:50