Nichts-Tun

Heute Mittag nach dem Aufstehen (ich habe Nachtdienst) saß ich mit meinem Milchkaffee im Garten. Die Sonne schien schön warm, am Himmel trieben sich dicke weiße Wolken herum. Als ich die Augen schloss, traten die Geräusche hervor: das Zirpen der Grillen, das Raunen des Windes, das Zwitschern der Rauchschwalben, das Rufen der Kolkraben, das Rascheln der Grashalme. In diesem Moment fühlte ich mich als Teil des Ganzen, nicht mehr und nicht weniger, und verbunden mit all den großen und kleinen Wesen, die außer mir auf diesem Flecken Erde leben. Und ich wusste, wenn ich mir diese Augenblicke häufiger und länger gestattete, würde ich die Sprache der Tiere und Pflanzen verstehen.
Nichts-Tun scheint der Schlüssel für einen neuen Raum zu sein.
Patsy Hawk Wing, eine nordamerikanische Medizinfrau, spricht in einem Interview mit Hilary Hart über den "Heiligen Raum", den es immer wieder neu zu schaffen gilt. Ich habe diesen heiligen Raum über viele Jahre morgens in einem Ritual geschaffen, mit Hilfe von einigen Körperübungen und meditativen Elementen. Dabei sind einige Male innere Bilder erschienen, die sich später als wahr herausgestellt haben. Das Gestalten des heiligen Raumes führte also zu einer Vertiefung meiner intuitiven Möglichkeiten.
Dieses Morgenritual hat mir in all den Jahren geholfen, mich zu zentrieren und gut in den Tag zu kommen. Aber vor einiger Zeit entwickelte sich ein Widerwillen gegen die feste Form. Ich habe einfach das Bedürfnis nach Rumsitzen und Nichts-Tun. Und genau das ist es, was ich jetzt jeden Morgen nach dem Aufstehen mache: draußen sitzen, Kaffee trinken und lauschen.

Marie-Luise - 7. Aug, 00:16