Montag, 11. Juli 2016

Regulieren

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Bei Skadi bemerke ich, wie schnell sie in der Lage ist, sich auf neue Situationen einzustellen. Im Gegensatz zu mir scheint sie keine Pläne zu haben. Eben noch auf dem Stuhlkissen gechillt, dann die Fliege jagen, die gerade vorbeikommt. Wenn sie spielen will, ich aber nicht - na gut, dann eben nicht. Wenn ich sie rufe, kommt sie manchmal, manchmal auch nicht. Wie alle Tiere lebt sie ohne Gepäck, sie trägt nur ihren Körper mit sich herum. Welche Freiheit!
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Vielleicht stimmt es ja, was einige sagen: daß der Sündenfall der menschlichen Gattung die Sesshaftigkeit war. Denn mit ihr kamen Ackerbau und Viehzucht und in der Folge persönlicher Besitz, Grenzen, Bevölkerungsexplosion und die mehr oder minder massive Einwirkung auf das gesamte ökologische System.
Menschen fühlen sich schnell berufen, Dinge zu "regulieren". In den letzten Tagen fiel mir das an zwei Beispielen auf:
es war die Rede von den sogenannten Neophyten, wie der Herkulesstaude und dem indischen Springkraut, die angeblich die natürliche Vegetation kaputt machen und alles überwuchern, weshalb man sie eindämmen müsse. Gegen eine weitere Pflanze, das Jakobskreuzkraut, wird eine regelrechte Vernichtungskampagne ausgerufen.
Vergessen wird immer wieder, daß alle Pflanzen, die uns heute so selbstverständlich als einheimisch erscheinen, mal irgendwann Neophyten waren, z. B. nach der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren. Pflanzen kommen und gehen in Wellen, das ist normal. Und die Horrorvision von den Pflanzen, die alle anderen verdrängen, macht systemisch gesehen keinen Sinn. Wer sich in der sich selbst überlassenen Landschaft umsieht, erkennt, daß die Vielfalt von Pflanzen nur da verloren geht, wo vorher der Mensch großflächig "regulierend" eingegriffen hat. Auf dem Gelände einer ausgeräumten Kiesgrube wächst in den ersten Jahren nur Huflattich. Nach und nach kommen dann Kamille, Königskerzen, Honigklee und andere. An den begradigten Flüssen mit ihrer ruinierten Ufervegetation kommt als erstes das indische Springkraut, nach einigen Jahren dann vielleicht Brombeeren, Weiden, Schwarzerlen... Diese Pflanzen sind wie Schorf auf einer Wunde, unter dem der Boden wieder heilen kann.
Und das Jakobskreuzkraut, das angeblich Tiere vergiftet?
Mittlerweile haben sich in meinem wilden Garten auch zwei dieser Pflanzen angesiedelt. Ich sehe sie mir jeden Tag an und lerne sie kennen. Was können sie, wozu sind sie da? Wenn eine Pflanze in großen Mengen auftritt, hat das eine Bedeutung. Übrigens fressen Tiere sie nicht, weil sie gallebitter sind (hab ich selber probiert). Aber in der Silage können sie wahrscheinlich problematisch werden. Susun Weed empfiehlt in ihrem Buch Menopausal Years Jakobskreuzkraut als Tinktur bei bestimmten Wechseljahresbeschwerden. Ich habe damit vor ungefähr zehn Jahren keine schlechten Erfahrungen gemacht, und meiner Leber geht es großartig, obwohl ich lange und häufig die angeblich leberschädigenden uralten Heilpflanzen Beinwell und Huflattich angewendet habe/noch anwende (Ich war neulich zur Routineuntersuchung bei der Betriebsärztin und habe mich über meine spitzenmäßigen Leberwerte gefreut).
Die Natur ist gefährlich, das ist die Sichtweise, die hinter der Panikmache steht. Ja, stimmt! So gesehen, ist das ganze Leben gefährlich. Und aus dieser Perspektive heraus müssen wir Krieg führen gegen die Neophyten, die Schnecken, müssen hohe Zäune aus Natodraht gegen die Fremden bauen, die in "unser" Land kommen.
Wenn ich im Garten bin, sehe ich aber die Fülle, die Großzügigkeit, die Schönheit, die Bedingungslosigkeit, mit der die Erde gibt und gibt. Manchmal tauchen fremde Pflanzen auf und wecken meine Neugier. Hier beginnt für mich Frieden.
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Jakobskreuzkraut - eine alte Heilpflanze

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