Sonntag, 3. Januar 2016

Deep Web

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Die Feiertage sind vorbei, meine BesucherInnen sind wieder zu Hause und jetzt bleiben mir ein paar Tage allein und ohne zur Klinik zu müssen, um den Rest der Rauhnächte bewusst auszukosten.
Ich mag es ja, wenn meine kleine Wohnung voller vertrauter Menschen ist, wenn es gutes Essen und gemütliches Sitzen am warmen Ofen gibt. Und ich mag es, wenn ich mich ganz in Ruhe in Zeit und Raum ausbreiten kann, ohne Verpflichtung, ohne die mir eigene Zielstrebigkeit. Es ist sehr kalt geworden, der Wind pfeift ums Haus. Heute Morgen war die Regentonne zugefroren. Ich musste die Eisschicht zertrümmern, um das Wasser auszuleeren und sie vorm Zerbersten zu retten.
Sylvester verbrachte ich mit J. und I. zu Hause, das erste Mal, seit ich hier wohne. Es war sehr ruhig, nur zwei Raketen und ein Böller in der Nachbarschaft. Das gefiel mir gut. Allerdings gab es Feuerwerk in den umliegenden Dörfern und ein großer Schwarm Wildgänse irrte schreiend über den Nachthimmel. Solange es knallte und leuchtete konnten sie sich nirgendwo niederlassen.
Am nächsten Morgen gab es ein üppiges Frühstück, dann brachte ich die beiden nach Hause und fuhr zum Dienst.
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Meine Kinder haben mir eine neue Kamera geschenkt, jetzt kann ich endlich gute Makroaufnahmen machen. Und sie haben wie immer dafür gesorgt, daß ich gut informiert bin: dieses Mal sahen wir die Dokumentation Deep Web 2015 mit Keanu Reeves als Sprecher.
Das Deep Web ist der Teil des Internets, der über Suchmaschinen nicht erreichbar ist. Er macht einen wesentlich größeren Teil aus und man kommt nur über spezielle Browser rein. Im Deep Web tummeln sich alle, die sich vor staatlichem Zugriff verstecken wollen: da finden sich neben den ganz düsteren Sachen wie Kinderpornografie und Waffenhandel auch Regierungskritiker und Dissidenten, die sich gefahrlos austauschen wollen.
In der Doku geht es um einen jungen US-Amerikaner, der einen virtuellen Marktplatz namens Silk Road vorwiegend für illegale Drogen geschaffen hat. Seine Beweggründe waren durchaus idealistischer Natur: er sah wie so viele nicht ein, daß der Verkauf von Drogen kriminalisiert wird und dadurch erst Drogenmafias und Beschaffungskriminalität ermöglicht werden. Er war davon überzeugt, daß der Handel sich selbst regulieren sollte unter Umgehung staatlicher Instanzen. Man kann das diskutieren: nach meiner Erfahrung mit süchtigen Menschen macht staatliche Kontrolle nichts besser, das hat die Prohibition in den USA deutlich gezeigt. Was verboten wird, geht in die Untergrund.
Der junge Mann wurde geschnappt und zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung verurteilt. Das ist ein extrem hartes Urteil und steht meines Erachtens in keinem Verhältnis. Natürlich soll es Signalwirkung haben. Es zeigt darüber hinaus, daß diejenigen, die sich staatlicher Kontrolle entziehen, für ungemein gefährlich gehalten werden. Das zeigen auch die Reaktionen auf die Enthüllungen von Julian Assange und Edward Snowdon.
Ich habe mich lange Zeit nicht darum geschert, was durch meine Bewegungen im WWW über mich sichtbar wird, nach dem Motto: die spionieren uns sowieso aus, weil jeder Staat seinen eigenen Bürgern nicht über den Weg traut.
Mittlerweile denke ich etwas anders: mir passt es zum Beispiel nicht, daß Microsoft, Google etc. allein durch mein Surfverhalten ein ziemlich genaues Profil von mir erstellen können. Das nutzen sie, um mich mit auf mich zugeschnittener Werbung zu belästigen und natürlich muss ich davon ausgehen, daß sie die Infos, die sie über mich gesammelt haben, an andere Firmen verkaufen.
Wie wichtig Geheimnisse sind, habe ich erst in den letzen Jahren gelernt, übrigens durch die Kooperation mit der Natur. Ich sehe es jetzt als Form des Widerstandes, sich auf eine Weise im Netz zu bewegen, die das Ausspioniertwerden erschwert.
Das Deep Web als Ort, an dem geheime Bewegungen stattfinden erscheint mir als Analogie zum Phänomen, daß menschliche Organismen unerwünschte Verhaltensweisen, traumatische Erlebnisse und sozial abgelehntes Begehren in tiefere Schichten verschieben: auf die Zellebene, in den Bauch. Das ist unsere persönliche Unterwelt. Dort wirken sie weiter, versteckt und deformiert. Der Deckel, der sie unten hält, ist ein verspanntes Zwerchfell und eine chronisch reduzierte Atmung mit allen Folgeerscheinungen wie Bluthochdruck, Angstzuständen, Depressionen. Und solange diese Abspaltung besteht, ist unsere Lebendigkeit reduziert.
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