Magische Rauhnächte

Neulich erfuhr ich, daß die Rauhnächte mittlerweile auch in den Fundus der evangelischen Kirche aufgenommen wurden. Eine Freundin erzählte mir, daß eine Pastorin in Hamburg Menschen Rückzugsräume für die einzelnen Rauhnächte zur Verfügung stellt. Nun ist es ja nichts Neues, daß sich die Kirche heidnischer Bräuche bemächtigt, um sich attraktiver fürs Volk zu machen. Das war schon unter Karl dem Schrecklichen so üblich, dessen Haupt-Bekehrungsmittel allerdings rohe Gewalt blieb. Heute machen das die IS-Leute so, wobei ich erhebliche Zweifel habe, daß es ihnen wirklich um Religion oder gar Spiritualität geht.
Gut, ich will besagte Pastorin natürlich nicht mit dem IS in einen Topf werfen. Von mir aus soll sie machen, was sie will. Schön wäre allerdings, wenn sie dann auch die eigentliche Herkunft dieses Brauches offen benennen würde.
Ich erlebe die Rauhnächte bewusst seit Mitte der 80er Jahre und finde, daß diese Zeit zwischen den Jahren geradezu dazu einlädt, die Alltagsroutinen weitgehend zu lassen und so einen Raum zu schaffen, in dem es möglich wird, ins Große Ganze hinein zu fühlen, zu lauschen, zu sehen. Irgendwie scheint in diesen Tagen alles still zu stehen. Ich fange Worte und Bilder auf, die in mir etwas hervorrufen.
Am zweiten Tag nach der Mütternacht/Heiligabend traf ich meine Nachbarin B. mit ihrem Hund vor dem Haus. Wir wurden Zeuginnen eines seltsamen Ereignisses: ein Keil Graugänse zog über den Himmel, was hier nichts Ungewöhnliches ist. Aber die Spitze der ordentlichen Formation bildeten zwei Singschwäne.
Da konnten wir nur staunen. B. sagte schließlich: "Zusammenarbeit ist also angesagt."
So isses.
Am Abend kamen meine Tochter mit Freund und Katze zu Besuch und blieben einige Tage. Wie jedes Jahr wurde viel und üppig gespeist - auch das ist seit meiner Kindheit ganz charakteristisch für Weihnachten. Ich finde es nicht schlimm, denn nach einigen Tagen Völlerei habe ich genug von Süßigkeiten und Fleisch (dieses Jahr gab es Wildschweinkeule mit Rotkohl, köstlich!) und kehre ohne Anstrengung und Verzicht wieder zu meiner gewohnten weitgehend vegetarischem Lebensweise zurück.
Daß man auf dem Teppich herumliegt und sich dabei seine Geschenke ansieht, gehört auch zu Weihnachten, siehe unten.
Vorsätze fürs neue Jahr habe ich nicht. Ich erlaube mir aber, meine uralte Kindheitskonditionierung, die Beste sein zu müssen (so wollte mein Vater das immer), abzulegen. Nicht mehr danach zu streben, die Beste zu sein, macht wohl auch erst Kooperation möglich: dann kann ich mich ehrlich darüber freuen, wenn Menschen in meinem Umkreis Dinge gut können, die ich nicht so gut oder gar nicht kann.

Marie-Luise - 3. Jan, 20:57