Dienstag, 9. September 2014

Kolonialismus

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Hallo Christine, du schreibst: "Die Mädchen in Tibet werden Schulen benötigen, um heraus zu finden, wie sie leben möchten. Um Alternativen zu Althergebrachtem entdecken zu können, muss mehr als die Tradition ins Wissen, ins Bewusstsein gelangen."
Auf die Gefahr hin, dich vor den Kopf zu stoßen: genau das meine ich mit Kolonialismus. Was bringen denn solche Schulen, von Weißen mit eurozentrischem und kapitalistischem Hintergrund eingerichtet, den Mädchen in Tibet für Alternativen bei: unsere westlichen Maßstäbe. Wissen wir, ob sie die brauchen? Nein, wir können nicht wissen, was sie brauchen. Wenn wir aber so tun, als wüssten wir es, handeln wir überheblich und übergriffig.

Ein Beispiel aus unserer eigenen Geschichte: wie kam es denn am 12. November 1918 dazu, daß die Frauen in Deutschland endlich das Wahlrecht bekamen?
Sie haben es sich selbst erkämpft. Sie haben aus sich selbst heraus "Alternativen zum Althergebrachten" entwickelt und dann auch die Energie gehabt, sie in die Realität zu bringen. Genau auf diese Weise ist in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts der Paragraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellte, gekippt worden. Und so war es mit allen sozialen Veränderungen.

Die Auffassung, wir müssten den tibetischen oder afrikanischen Mädchen Schulen verpassen (die ihnen dann natürlich zwangsläufig die westlichen kapitalistischen "Werte" vermitteln und wie meine Freundin Astrid so trocken feststellte, "sie damit fit für den Herzinfarkt" machen), zeugt von einem tief verwurzelten Misstrauen gegenüber der Fähigkeit von Menschen, ihr eigenes Leben zu gestalten. Und genau dieses Misstrauen ist ein Leitsymptom unserer kranken westlichen Kultur.
Gut gemeint ist eben tatsächlich meistens das Gegenteil von gut.

Ich habe bei mir selbst und in meiner Arbeit mit Suchtpatienten so oft erlebt, daß die wirklichen Veränderungen nicht deshalb geschehen, weil äußere Institutionen oder Menschen Hilfe anbieten. Nein, sie geschehen, weil etwas im Inneren wächst, das immer lauter und schließlich unüberhörbar nach Veränderung ruft. Und dann kommt der Moment, wo das Leben mir entgegen kommt und hilft, diese Veränderung in die Welt zu bringen.

Welche kreativen Möglichkeiten Frauen anderer Kulturen entwickeln, um gegen Männergewalt und Unterdrückung vorzugehen, zeigt besonders schön die indische Gulabi Gang. Es lohnt sich, die mal zu googeln. Die Begründerin dieser in rosa Saris gekleideten Frauengang hatte schlicht die Schnauze voll vom Althergebrachten.

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