Auftauchen

Lustige und entspannte Weihnachten - ein Foto mit der neuen Digi-Cam meines Sohnes
Die Rauhnächte haben sich dieses Jahr zur wahren Schwellenzeit entwickelt. Ich bin nämlich krank geworden: Sylvester, den ich bei Jans und Ida ganz gemütlich mit gutem Essen und angenehmer Unterhaltung verlebte, fing's ganz banal mit Schnupfen an. Tagelang nieste ich in einer Tour und hatte einen etwas schmerzhaften Lymphknoten vorm rechten Ohr. Ich dachte, diesmal geht's schnell vorbei und nahm zur Unterstützung selbst angesetzte Propolistinktur zu mir.
Am Samstag nahm ich am Geburtstag von K. im Vieburger Gehölz teil. Es gab ein schönes Feuer, aber mir wurde dann doch recht kalt. Vielleicht hat mir das den Rest gegeben, am nächsten Tag machte ich zwar wacker meinen Spaziergang, fühlte mich aber deutlich krank. Am Montag, dem Perchtentag, hatte ich Schmerzen beim Husten und Fieber. Gliederschmerzen, Kopfschmerzen und ein starkes Krankheitsgefühl kamen im Laufe des Tages dazu. Also verbrachte ich die letzten Tage mehr oder minder vorm warmen Ofen auf meinem Schaffelllager, döste, las, trank den bewährten Huflattichtee, sah zu, wie mein gewohntes Denken sich auflöste, wie meine seelische Abwehr sich auch gleich niederlegte (alles ging mir sehr nah, alles was noch aus der menschlichen Welt zu mir kam, war mir zu viel). Nachts schwitzte ich wie in der Sauna und hatte bedrängende Träume. Widerstandslos überließ ich mich dem wilden Tanz der Viren und Lymphozyten.
Gestern fuhr ich nach Selent und ließ mich vom dortigen Arzt krankschreiben. Arbeiten wäre gar nicht möglich gewesen, auch der für den Perchtentag geplante Hausputz sowie das abendliche Räuchern konnte wegen akuter Schwäche einfach nicht stattfinden. Interessanterweise konnte ich, sonst die Ordnung in Person, dem sich seit zwei Wochen stetig vermehrenden Volk der Staubmäuse in den Zimmerecken gelassen zusehen.
Mal schauen, welche Häutung da jetzt wieder stattfindet. Zweimal innerhalb von zwei Monaten "krankfeiern" - vielleicht ist es ja mein Abschied von der Rolle der Durchhalterin und Heldin. Die mag ich tatsächlich immer weniger sein.
Ein schönes empfehlenswertes Buch hat mich in den letzten Tagen begleitet: Macht - Geschichte - Sinn von Ursula Seghezzi. Es geht um europäische Geschichte seit der Jäger-und-Sammlerinnen-Zeit, um Jahreskreisfeste, Mythen und Volksbräuche. Sehr erschütternd wird geschildert, wie die Urbevölkerung, die weder Besitz noch Einehe noch Krieg kannte, von den germanischen und keltischen Horden unterworfen, beraubt, vergewaltigt, versklavt und zur Flucht gezwungen wurde. Die Geschichte ist ja nicht unbekannt, aber die damit einhergehenden Mythen gingen mir sehr unter die Haut.
Nein, es gibt keinen Grund, auf irgendwelche germanischen oder keltischen Wurzeln stolz zu sein.
Schön finde ich auch Frau Seghezzis sehr freundliche und differenzierte Weise, zwischen dem Mystiker Jesus, der eine tiefgreifende Einheitserfahrung weitergeben wollte, und dem Herrschaftswillen der Kirchen zu unterscheiden.
Ich habe allerdings auch was auszusetzen: sie betont immer wieder, daß die alten Völker noch nichts über den männlichen Beitrag zur Schwangerschaft gewusst haben. Da glaube ich aber doch: die frühen Menschen werden das alles schon gewusst haben, das konnte bei den Tieren und bei sich selbst beobachtet werden. Wichtiger schien aber zu sein, daß sich in dem neuen Wesen die Seele eines Ahnen wiederverkörperte.
Ich habe auch erhebliche Zweifel daran, daß Cromagnon-Menschen und die neolithischen Völker schon PriesterInnen hatten. Wozu? Fühlten sie nicht noch die Verbindung mit dem Großen Ganzen, die Verwandtschaft mit allen Wesen? Sie werden keine Religion gebraucht haben und eben auch keine VermittlerInnen.
Mir ist noch aufgefallen - das will ich jetzt Frau Seghezzi nicht vorwerfen - daß in dieser Art von Büchern immer nur die Rede von heterosexuellen Menschen ist. Dazu gehöre ich auch, dennoch bin ich durch lesbische und schwule FreundInnen und KollegInnen mittlerweile sensibilisiert. Ich bin gespannt, wann und wie die alten Mythen mal unter diesem Blickwinkel gelesen werden.
Liebste Astrid, meine besten Geburtstagswünsche nach Portugal und viele Küsse und weiche Umarmungen! xxx
Marie-Luise - 8. Jan, 20:39