krank

Vor einigen Wochen habe ich mir beim Mähen mit der Sense das linke Schlüsselbein samt erster Rippe ausgehebelt. Das hat zu brennenden Schmerzen im Schultergelenk geführt. Auch meine Osteopathin war dieses Mal ratlos. Am Montag wurden die Schmerzen so heftig und ich fühlte mich so unwohl, daß ich eine homöopathische Ärztin konsultierte, die mich krank schrieb (das ist das letzte Mal vor über zehn Jahren vorgekommen). Ich hatte die Befürchtung, daß sie mich gleich an einen Orthopäden weiterschickt - da hätte ich dann aber nicht mitgemacht. Aber sie schaute sich mein hochstehendes Schlüsselbein an und gab mir zwei Globuli Rhus toxicodendron in sehr hoher Potenz. Am nächsten Tag war ich schmerzfrei, obwohl das Schlüsselbein immer noch an der falschen Stelle sitzt.
Anfang Dezember gehe ich zu einer Physiotherapeutin, die "es in den Händen hat". Dank einer Empfehlung bekam ich überhaupt einen Termin bei ihr. Mal sehen, was sie ausrichten kann. Vielleicht kann sie bei der Gelegenheit auch meinen nach wie vor tauben Händen helfen. Denen ging es zwischenzeitlich mal besser, aber alles in allem habe ich sie seit nunmehr sechs Jahren.
Während ich mich in die Hände anderer Menschen begebe, weil ich allein nicht mehr weiter komme, suche ich nach Bedeutung. Eins ist schon klar: mein seit der Grundschulzeit eingefleischter Leistungsdrang führt dazu, daß ich mir ständig mehr aufbürde, als mir gut tut. Nicht daß das etwas Neues wäre: ich muss mich halt immer wieder daran erinnern, daß es keine Belohnung dafür gibt, daß ich fleißig bin und so viel schaffe. Im Gegenteil.
Jetzt hat mich mein guter Körper erinnert!
Ich bin zwar krank geschrieben, aber gehen kann ich. Also ging ich gestern bei schönstem Sonnenschein spazieren. Mein Weg führte mich an der Kühlhalle des Gutes vorbei. Dort stand ein Anhänger, aus dem Blut tropfte. Als ich näher kam, erkannte ich, daß er mit Gedärmen und Lungen beladen war. Durch die geöffnete Tür der Halle sah ich sehr viele Damtiere ausgeweidet und an Haken hängen wie Inanna im unterirdischen Reich ihrer Schwester Ereschkigal. Morgens hatte ich die Schüsse gehört und als der Postbote mir meine Briefe aushändigte, sagte er: "Heute ist Jagd. Die Tiere haben ja gar keine Chance." Er klang mitfühlend. Recht hat er: die Zeiten, als Menschen Mammut, Auerochse und Wollnashorn noch in die Augen sahen, bevor sie sie töteten, sind ja schon zehntausende von Jahren vorbei.
Ich sprach den Mann an, der mit einem Abziehbesen Blutpfützen zusammenschob. Er sprach von 97 Tieren, die am Vormittag abgeschossen worden waren. Und warum nur weibliche Tiere? Er sagte was von Abschussquoten. Ich fragte nicht weiter nach.
Die Bilder, die ich sah, habe ich immer noch in mir. Ich habe es schon mal geschrieben: mein Problem ist nicht das Fleischessen (das mach ich selbst, wenn auch sehr selten), sondern wie Tiere gehalten und getötet werden. Das Damwild hat sicher ein schönes Leben. Ich sehe die Tiere oft, sie wohnen hier ebenso wie ich. Am Vorabend sprangen zwei aus meinem Gemüsegarten, als ich näher kam. Und dennoch habe ich das Gefühl, daß das Töten meistens ohne Respekt geschieht.
"Wir müssen wieder töten lernen", diesen Satz habe ich oft von Ute Schiran gehört. Ich weiß, daß er ein Satz mit vielschichtiger Bedeutung ist. Er klingt nach Tabubruch. Töten lernen, wir? Ungeheuerlich! Fleisch kauft man doch fertig zugeschnitten im Supermarkt.
Übrigens finde ich den moralischen Einwand mancher Vegetarier und Veganer, daß sie nicht für den Tod eines Lebewesens verantwortlich sein wollen, zu kurz gedacht: sind doch auch Pflanzen Lebewesen.
Folgende Einwände gegen häufigen Fleischkonsum habe ich: das tägliche Fleischessen verlangt immense Weideflächen bzw. Land für den Anbau von Futterpflanzen und führt damit zur Zunahme der globalen Hungersnöte. Außerdem bin ich gegen jede Form von Sklaverei. Genau das ist aber Tierhaltung in den allermeisten Fällen. Auch Bio ist absolut keine Garantie für wesensgemäße Tierhaltung.
Wie kann es also gehen, Fleisch als Geschenk eines Lebewesens zu sehen und mit Respekt zu essen, in dem Bewusstsein, daß ich eines Tages Nahrung für andere Wesen sein werde?

Marie-Luise - 14. Nov, 21:11