Rhön

Ich war einige Tage in der Rhön. Meine Mutter hatte meine Kinder und mich dazu eingeladen. Das war mein vierter Besuch innerhalb von über dreißig Jahren in dieser magischen Landschaft mit ihrer enormen Weite, ihren vom Wind geformten Bäumen, ihrer blütenreichen Bergwiesen. Leider konnten wir nur an einem einzigen Tag durch diese Pracht wandern, Storchschnabel, geflecktes Knabenkraut, Trollblumen, Bachnelkenwurz, Katzenpfötchen und die äußerst seltenen weißen Waldanemonen bewundern. Es war nass, nass, nass. Auf einem unschuldig aussehenden Weg sprang unter dem Tritt meiner Mutter plötzlich eine Wasserfontäne hoch. Wir probierten es dann auch: tatsächlich hatte sich unter der Wurzelschicht der Bergwiese eine Wasserblase gebildet, die sich bewegen ließ wie eine gefüllte Wärmflasche. Ich musste gleich an Annette von Droste-Hülshoffs Knaben im Moor denken: "...und unter jedem Tritt ein Quellchen springt..."
Ich träumte davon, in dieser Landschaft einen Kräuterkurs zu veranstalten. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich drei interessante Frauen in der Rhön auf einem Flecken namens Schwarzerden niedergelassen. Sie gehörten zur Lebensreform-Bewegung und haben mit neuen Formen von Zusammenleben, Selbstversorgung und Körperarbeit experimentiert.
An den übrigen Tagen hat es so geschüttet, daß wir nach Tann fuhren und die dortigen Museen besuchten (sehr empfehlenswert das Naturkundemuseum), uns das Biedermeierbad Bad Bocklet ansahen, auf Schloss Aschach Kuchen aßen und das alte Gemäuer besichtigten. In Ostheim gab es Thüringer Bratwurst. Überhaupt gab es sehr viel zu essen. Das war der Trost für das ungastliche Wetter.
Die schwarzköpfigen Rhönschafe gab es natürlich auch zu sehen. Allerdings wunderte ich mich, daß ich keine einzige Biene auf den blühenden Bergen zu Gesicht bekam.
Irgendwie war die ganzen Tage mein Vater anwesend: er hat die Rhön geliebt und war ungefähr vierzig Jahre lang immer an Pfingsten dort. Die Leute in der Pension kannten ihn, seine Bilder hängen an den Wänden, das Gästebuch ist verziert mit seinen Zeichnungen.
Vor dem Frühstück ging ich mit Regenjacke auf den Balkon unseres Zimmers und hörte den Vögeln zu. Das war einfach nur schön. Und ich habe deutlich gespürt: die wilden Wesen in der Natur haben ebenso ein Interesse an uns Menschen wie wir an ihnen.
Diese Planetin ist einfach ein wunderschöner Ort zum Leben.

Marie-Luise - 3. Jun, 22:40