Sonntag, 5. August 2012

sich öffentlich machen

Litha-2012-078
Diesen Rainfarn fand ich gestern auf der Windschutzscheibe meines Autos, als ich mit den Teilnehmerinnen des Kräuterkurses von unserem Gang zurückkam. Wer oder welche auch immer das war: ich habe mich sehr gefreut!

Vor einigen Tagen wurde ich mal wieder darauf angesprochen, daß ich in diesem Blog so sehr persönliche Sachen öffentlich mache. Neu war nicht die Aussage, sondern meine Reaktion darauf: vielleicht war es die die Missbilligung, das deutliche Befremden, das ich bei der anderen Person spürte - ich fühlte mich plötzlich beschämt und ganz ungemütlich.
Ich habe lange darüber nachgedacht. Gehe ich zu weit? Ja, ich bin in der Vergangenheit einige Male zu weit gegangen, wenn ich über andere berichtet habe. Das war bereits einmal Thema, und seitdem achte ich darauf. Schade ich mir selbst, indem ich gelegentlich sehr persönliche Äußerungen mache? Ich glaube eigentlich nicht. Vielleicht machen sich meine LeserInnen ein falsches Bild von mir, aber die Gefahr besteht doch noch mehr, wenn ich in meinen Berichten immer an der Oberfläche meines Lebens bleibe. Begebe ich mich mit meiner Offenheit in Gefahr? Ich wüßte nicht wie.
Ich habe geforscht, woher dieses plötzliche Schamgefühl kam und bin fündig geworden: als Kind gab es öfter Situationen, in denen ich von meinen Eltern aufgefordert wurde, etwas zu unterlassen, z.B. als ich mit meiner Freundin einen Ringkampf machte und mein Vater dazu kam und sagte: "Hör auf, Mädchen tun so etwas nicht." Ich wusste nicht, warum Mädchen sowas nicht tun, aber in der Stimme und im Gesicht meines Vaters war etwas, das mich dazu brachte, nie wieder Ringkämpfe mit irgendeiner zu machen. Und ich schämte mich ganz fürchterlich.
Die Generation meiner Eltern war verklemmt und gehemmt. Es gab unzählige Sachen, über die man nicht redete. Die meisten Gefühle waren tabu. Sexualität sowieso.
Kein Wunder, daß in dieser Zeit die 68er Bewegung ausbrach: jetzt wurden die unerträglichen Tabus Stück für Stück gebrochen. Ich war dabei. Das war meine Therapie gegen die unerträgliche Scham: die Scham über meinen weiblchen Körper und die einengenden Tabus, die damit zusammenhingen. Ich wollte frei sein, mich frei bewegen können.
Nicht ohne Grund legten damals soviele Frauen ihre BHs ab, auch ich. Manche verbrannten sie auch öffentlich als Symbol der Einengung und Deformierung.
Ich habe immer wieder Tabus gebrochen, in vielen Bereichen: vielleicht bin ich einfach von Natur aus ein sehr freiheitsliebender Mensch. Und ich habe wieder erfahren: Dinge können sich verändern, weiter entwickeln, wenn darüber gesprochen wird.
Das habe ich auch beim Coming-out vieler Schwuler in den 80ern erlebt: das teilweise provozierende Öffentlichmachen ihres Schwulseins als Reaktion auf die vorausgegangene Unterdrückung und Kriminalisierung ihrer naturgegebenen sexuellen Präferenz. Mir hat es Spaß gemacht, sie zu erleben, und ich habe sie verstanden.
Ich habe als unglückliche junge Ehefrau und Mutter "Schattenmund" von Marie Cardinal und "Die Scham ist vorbei" von Anja Meulenbelt gelesen, beides extrem persönliche Autobiografien, die wesentlich intimere Dinge öffentlich machten als ich in diesem Blog. Diese Bücher haben mir geholfen, mich nicht so allein und gestört zu fühlen. Ja, ich bin diesen Frauen immer noch für ihre Offenheit und ihren Mut dankbar.
Oder die sehr geschätzte Annie Sprinkle: sie war Pornodarstellerin, sie hat ihre eigene Sexualität bis in den letzten Winkel erforscht und das in Bild, Film und Performances öffentlich gemacht. Ich habe sie vor einigen Jahren mal in Hamburg erlebt und finde sie wunderbar. Es ist ein großes Glück, daß es TabubrecherInnen wie sie gibt. Sie bringen Weite in die Welt.
Ich werde also weiter, wenn mir danach ist, Persönliches in mein Blog bringen. Wem und welcher es nicht gefällt, muss es nicht lesen.
Übrigens: natürlich habe ich Geheimnisse. Und um über mich Bescheid zu wissen, braucht es mehr als die paar Zeilen, die ich ab und zu von mir gebe.
Litha-2012-071

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