Freitag, 30. März 2012

Reisen

FTuNG-2012-003
Jedes Jahr nehme ich mir vor, es ruhiger angehen zu lassen und mehr zu Hause zu sein. Es klappt nicht. Auch daß mich vor jeder Reise eine nicht besonders angenehme Unruhe befällt (Hoffentlich vergesse ich nichts, hoffentlich bekomme ich den Zug usw.) hat mich bisher nicht am Aufbruch gehindert. Meistens vergesse ich erst vor der Rückreise etwas: meine Thermoskanne oder dieses Mal meine Armreifen und meinen Ring bei meiner Tochter.
Ich bin also eine Reisende, das ist die Realität. Dieses Mal fand das Godentreffen im Frauenhof im Allgäu statt. Auf dem Hinweg besuchte ich meinen Sohn, auf dem Rückweg meine Eltern und meine Tochter.
Und dann gibt es noch die magischen Reisen: schamanische Reisen, der Wechsel des Bewusstseinszustandes, das plötzliche Wegdriften in andere Sphären.
Reisen können mich inspirieren, Fragen beantworten, meine Wahrnehmung erweitern.
Im Allgäu haben wir noch einmal den Film Höhle der vergessenen Träume von Werner Herzog gesehen. Dieses Mal sogar auf einer Leinwand und auf Deutsch. So bekam ich deutlicher mit, wie selbstverständlich immer noch davon ausgegangen wird, daß die Gemälde in der Chauvet-Höhle von Männern gefertigt wurden und daß die Fußspuren eines Kindes von einem achtjährigen Jungen stammten. Meine Tochter, der ich davon erzählte, meinte süffisant, ob der Kleine denn seine Genitalien über den Boden gezogen hätte.
Die Sprache offenbart das Denken.
Aber es gibt auch Schätze in diesem Film: ein junger Archäologe, der sichtlich beeindruckt von den Höhlenbildern war, erzählte von einem australischen Aborigine, der beim Ausbessern von Felsbildern von einem Weißen gefragt wurde, warum er malte. Da sagte er: "Ich male nicht, Spirit (im Film schlecht mit Geister übersetzt) malt."
Ein Forscher äußerte, daß die Menschen der Altsteinzeit ein grundsätzlich anders Denken gehabt hätten, als wir, das sich unter anderem darin ausdrückte, daß keine Trennung zwischen Tier und Mensch gesehen wurde, so daß auch ein Gestaltwandel möglich war. Da sind wir wieder bei den schamanischen Reisen.
Dazu fällt mir ein Gesprächsfaden ein: eine Frau sagte, daß die Menschen schon immer Angst vor dem Wilden gehabt hätten. Deshalb die Zäune, deshalb der offene Weg in den Wald, deshalb das Feuer.
Das glaube ich nicht. Die Zäune und die angelegten Wege kamen erst mit Ackerbau und Viehzucht, möglicherweise erst mit dem Privatbesitz.
Angst vor dem Wilden kann meines Erachtens erst entstehen, wenn ich mich als dem Wilden gegenübergestellt sehe. Wenn ich mich als ein Teil des Wilden, der Natur, des großen Ganzen begreife, muss ich keine Angst haben. Achtsamkeit und Wachsamkeit scheinen mir die notwendigen Überlebensstrategien zu sein.
Ich habe als junge Frau in der Stadt Angst gehabt. Die entstand aus dem Erleben von sexualisierten Übergriffen, übrigens die meisten geschahen tagsüber. Zorn darüber und Trotz brachten mich dazu, mir eine Rühr-mich-nicht-an-Aura zuzulegen. Das hat funktioniert.
Aber draußen im Wald, in der freien Natur habe ich noch nie Angst haben müssen. Ich bin mal einer Wildschweinfamilie begegnet und habe instinktiv richtig reagiert, indem ich einfach ruhig stehenblieb. Wir sahen uns eine Weile an, und dann traten wir im gleichen Moment den Rückzug an. Und auf einer Weide mit grasenden Bullen habe ich Pilze gesammelt, ohne daß wir uns in die Quere gekommen sind.
Ich habe auch keine Angst vor Hunden. Kommt einer mir entgegen, halte ich ihm die Hand zum Schnuppern hin. Dann ist alles klar zwischen uns.
Ich weiß, daß es Menschen mit eingefleischter Angst vor dem Wilden, nicht Menschlichen gibt. Vielleicht haben sie andere Erfahrungen gemacht als ich, vielleicht steckt ihnen ein uraltes Familientrauma in den Knochen.
Das ist bedauerlich.
Ein Zaun, der gegen das Wilde gesetzt wird, geht mitten durch uns hindurch.
FTuNG-2012-010

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