Das Neue träumen

Danke, liebste Astrid, für deinen Post: erstens, weil er mich wieder sehr erheitert hat und du natürlich Recht hast mit dem, was uns wirklich lehrt, und zweitens wegen des wirklich lesenswerten Links (obwohl diese Mammuttexte immer all meine Widerstände mobilisieren).
Hier also noch mal der Link für alle Interessierten:
http://faszinationmensch.wordpress.com/2011/06/12/warum-schuler-unsinnig-buffeln-mussen-brief-eines-vaters-an-seine-tochter-zur-erklarung/
Das, was dieser Vater beschreibt, ist extrem gruselig. Allerdings frage ich mich doch, warum er das mitmacht. Es gibt ja heute durchaus die Möglichkeit, Kinder aus dem normalen Schulsystem herauszunehmen. Außer Waldorfschulen existieren aus gutem Grund immer mehr private Schulen, die versuchen, anders zu arbeiten. Ich weiß, daß sie auch nicht ganz machen können, was sie wollen und daß unsere Regierenden sich redlich Mühe geben, ihnen das Leben sehr schwer zu machen. Dennoch sehe ich sie als das geringere Übel an.
Nachdem er ausgiebig den Irrsinn des heutigen Bildungssystems beklagt hat, bin ich jetzt sehr am nächsten Schritt interessiert: was kann eineR machen?
Beklagen hat uns, soweit ich weiß, noch nie weiter gebracht, wohl aber die Initiative von Menschen. Ich erinnere (mich) an das Bild von den Imago-Zellen, die in der formlosen Masse im Inneren des Raupenkokons die neue Gestalt träumen.
In dem irrsinnigen Feld unseres Bildungssystems existieren diese Imago-Zellen in Gestalt von Menschen, die munter dabei sind, etwas anderes zu machen. Die gängigen Medien berichten nicht darüber, aber z.B. die Oya, für die ich mal wieder Reklame machen möchte.
Zum Thema Bildung passt ein Brief meines Opas, den er uns Kindern vor etwa fünfzig Jahren zu Weihnachten geschickt hat. Meine Mutter hat ihn wiedergefunden und mir zukommen lassen: er schreibt in besonders gut leserlicher Handschrift über Weihnachten in dem Dorf seiner Kindheit. Auch die Zeichnungen stammen von ihm. Mein Opa ist in eine einklassige Dorfschule gegangen und war mit dreizehneinhalb Jahren fertig. Dann kam die Lehre.
Er hat immer von seinem Lehrer geschwärmt. Das war ein junger Mann, der mit den Kindern z.B. zusammen ein großes Becken hat ausheben lassen, in dem sie Schwimmen lernen konnten. Dieser junge Mann war von der Jugendbewegung beeinflusst und wußte seine Schüler zu begeistern. Er ist dann als Soldat im ersten Weltkrieg umgekommen. Mein Opa hat übrigens entscheidenden Anteil für mein Interesse an der Natur, den Sternen und dem einfachen Leben. Er hat sich bis ins Alter etwas Kindliches bewahrt, bohrte in jedem Mauseloch mit seinem Spazierstock herum, fackelte Bahndämme ab, weil er Feuer gern hatte, und konnte gut zeichnen, obwohl oder wahrscheinlich weil er darin nie geschult worden war. Ich bin sicher, daß Menschen gern lernen, wenn man es ihnen nicht frühzeitig versaut.

Ich sehe eine deutliche Analogie zwischen dem globalen Kapitalismus mit seiner Ideologie des unbegrenzten Wachstums (zu der das Bildungssystem gehört)und einer Krebserkrankung: Krebszellen wuchern so lange, bis sie ihren eigenen Organismus zerstört haben.
Der Kapitalismus ist ein gigantisches Selbstzerstörungsprogramm.
Ich träume davon, den Kapitalismus, diesen globalen Krebs, auszuhungern. Wie das gehen kann? Mit Selbstversorgung, Tauschringen, Nachbarschaftshilfe, Konsumboykott und mit radikaler Wiederverwurzelung in der Erde. Wenn ich die jungen Leute in meinem Umkreis mit ihren niegelnagelneuen i-Phones sehe, frage ich mich sowieso, ob diese ganzen Geräte nicht ein Ersatz für das verlernte Spielen und Träumen sind. Und wenn ich daran denke, daß der ach so tolle Steve Jobs diese ganzen monströs teuren i-Phones, i-Pads und i-Sonstwas in China unter menschenverachtenden Bedingungen herstellen ließ, dann kann ich nur noch kotzen.

Marie-Luise - 18. Dez, 00:29