Sonntag, 24. Juli 2011

Weites Sehen

Schnitterin-2011-001
Während ich gestern noch eine trockene Phase am Nachmittag erwischte, in der ich meinen Kräuterstrauß für das heutige Schnitterin-Fest pflückte - und froh über meine guten Gummistiefel war - hat es heute den ganzen Tag durchgeregnet. Am Nachmittag feierten wir in kleiner aber feiner Runde das Ritual in meinem Wohnzimmer.

Bevor die Frauen kamen, saß ich mit meinem Milchkaffee im offenen Schuppen und sah in die Landschaft hinaus. Ich spielte mit meinem Sehen. Wenn ich meinen Blick ganz weich und offen werden lasse, also nichts mehr fokussiere, sind die Augen ununterbrochen in Bewegung. Das scheint ihre natürliche Art zu sein. Mal wurde mein Blick durch die rasanten Flüge der Schwalben angezogen, mal durch die Regenschleier, die der Wind über die Landschaft trieb pder durch eine sich bewegende Blüte. Je weicher und weiter der Blick wurde, desto mehr nahm ich wahr. Auch die Geräusche um mich herum wurden deutlicher: die Rufe der Raben, das Summen der Wespen, die Windböen.
Ich fand diesen Zustand sehr schön.
Wie oft ist es aber so, daß das Gesichtsfeld eng ist. Immer wenn es auf einen Fokus gerichtet ist: weil wir von Kindheit an darauf konditioniert werden, uns auf etwas zu konzentrieren und uns nicht ablenken zu lassen. In Wirklichkeit wird dabei das Gesichtsfeld verengt, wir verlernen, alles gleichzeitig zu sehen, wir verlernen flexibel auf Neues reagieren zu können, wir werden letztendlich eng im Geist. Und ich glaube auch, daß unsere natürliche Fähigkeit zu lernen durch das enge Fokussieren eher behindert als gefördert wird.
Ich finde es auch nicht erstaunlich, daß die meisten Menschen über kurz oder lang eine Brille brauchen (die das Problem nicht behebt sondern betoniert, weil sie ja so konstruiert ist, daß wir nur bei unbewegtem Blick scharf sehen können).
Wie kann ich das Neue, das Überraschende, das in mein Leben kommen will und vielleicht genau das ist, was mich weiterbringen kann, erkennen, wenn ich immer nur auf ein Ziel fokussiert bin? Entgeht mir dann nicht ganz viel von dem, was das Leben schön macht? Davon abgesehen, macht ständiges Ausgerichtetsein Kopf- und Nackenschmerzen, schafft ein hohe Körperspannung und kostet viel Energie.
Ich sehe am schärfsten, wenn ich immer wieder wechsele zwischen Nah- und Fernsicht, zwischen weichen offenen und fokussiertem Blick.
Schnitterin-2011-007

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