Flexible Systeme

Aus der neuen Oya erfahre ich, daß der Öko-Textilhersteller Hess-Natur von der amerikanischen Carlyle Group übernommen werden soll. Die Carlyle Group steckt dick im Rüstungsgeschäft. Jetzt gibt es Initiativen der Mitarbeiter und Kunden von Hess Natur, die Firma in eine Genossenschaft umzuwandeln, um den Ausverkauf abzuwenden.
Heute habe ich erfahren, daß der Biodiscounter Erdkorn seinen Mitarbeitern einen Stundenlohn von 7 Euro brutto bezahlt. Erdkorn hat mittlerweile in Kiel das Monopol. Alle anderen Bioläden sind eingegangen. Es gibt Genossenschaftsläden, die aber für mich nicht in Frage kommen, weil meine Einlage das übersteigen würde, was ich monatlich an Geld im Bioladen lasse. Ich besorge nämlich das meiste auf dem Markt, einfach weil ich Märkte schon immer geliebt habe.
Was haben beide Geschichten miteinander zu tun?
Johannes Heimrath schreibt in der Oya, daß das kapitalistische System gelernt hat, flexibel auch auf Protest- und Alternativbewegungen zu reagieren. Das waren zur Zeit von '68 noch ganz anders: damals stand uns das Gesellschaftssystem als monolithischer Block gegenüber.
Von den liebenswürdigen Bioläden der Pionierzeit ist wenig übrig geblieben. Mittlerweile gibt es Discounter auch in der Bioladenbranche, die Aldi, Schlecker und Lidl in puncto Mitarbeiter-Ausbeutung in nichts nachstehen.
Ich weiß noch nicht, was das für mich konkret bedeutet: natürlich möchte ich nicht weiter mein Geld bei Erdkorn lassen (hab mich eh nie wohl gefühlt in diesem Laden). Aber ich will auch nicht 12 km nach Lütjenburg mit dem Auto fahren, nur um meine Hirse, Nüsse und Hülsenfrüchte im dortigen Bioladen zu kaufen.
Sollte Hess Natur wirklich übernommen werden, dann werde ich dort kein einziges Kleidungsstück mehr kaufen. Aber auch da fehlen mir leider die Alternativen, denn alle anderen, die sich Öko-Textilhersteller nennen, erfüllen längst nicht alle Kriterien, die ich für notwendig halte, z.B. fairen Handel.
Andrerseits: wenn das System gelernt hat, flexibel zu sein, dann bin ich es auch. Und nicht nur ich, sondern viele Menschen, die einfach ganz klar wissen, daß es so nicht mehr weitergehen soll, kann und wird. Wir werden also neue Möglichkeiten finden. Eine davon zeichnet sich für mich immer deutlicher ab: sehr genau zu überlegen, was ich wirklich brauche, immer weniger zu kaufen, Dinge zu recyceln, Second Hand-Läden in Anspruch nehmen, Sachen selber nähen.
Was ist wirklich wichtig?
Marie-Luise - 10. Mär, 22:55