Wölfe

Im Radio gab es eine Sendung über die Wölfe in Brandenburg. Die Biologin, die diese Tiere erforscht, räumte ein hartnäckiges Vorurteil aus: es war ja lange Zeit "wissenschaftlich bewiesenes" Allgemeingut, das es in Wolfsrudeln eine Hierarchie mit Alpha-Wolf und Alpha-Wölfin und "Untertanen" (so nannte die Radio-Moderatorin das tatsächlich) gibt. Weit gefehlt! Die neueren Beobachtungen zeigen, daß es sich bei Wolfsrudeln um Familienverbände handelt: Mutter und Vater Wolf, einjährige und ganz junge Welpen. Ab einem bestimmten Alter trennen sich die jungen Wölfe von ihrer Familie und suchen eineN PartnerIn für eine neue Familie.
Die Sache mit den Alpha-Wölfen entstand durch Beobachtung von in Gefangenschaft lebenden Wölfen, die für ihr erzwungenes Zusammensein neue Regeln finden mußten.
So ist das mit der Wissenschaft: eineR sieht immer das, was sie/er kennt. Wer also aus einer Gesellschaft stammt, die aus Herrschern und Beherrschten besteht, der wird dieses Muster auch bei Tieren sehen.
Interessant ist auch immer, wie unterschiedlich Beschreibungen ein und derselben Sache ausfallen, je nachdem, von welchem Standpunkt aus sie angesehen werden.
Ich nahm mal an einem Überlebenstraining für Frauen in Schweden teil. In unserer Gruppe gab es auch zwei Journalistinnen. Die eine machte alles mit und schrieb im Anschluss einen positiven Bericht über unsere gemeinsame Zeit. Die andere wollte sich das Training "von außen" ansehen. Sie machte nur einige wenige Sachen mit und blieb uns allen fremd. Sie schrieb hinterher eine ziemlichen Verriss über das Training in der Süddeutschen Zeitung. Schade für sie.
Aber zurück zu den Wölfen. Ich freue mich ja über jeden Wolf, der in Deutschland lebt. Aber da gibt es viele, die schon wieder vom Einfangen und Töten reden, weil Wölfe sich auch Tiere von der Weide holen. Die Biologin sagte, ein guter Elektrozaun könne das verhindern.
Wie schwer scheint es zu sein, sich mit den wilden Tieren, die mit uns diesen Planeten bewohnen, zu arrangieren.
Der Glaube, daß eine Gesellschaft aus Herrschern und Beherrschten bestehen muß, ist wohl genauso verbreitet wie der Glaube, daß wir Menschen das selbstverständliche Recht haben, uns gegenüber den Tieren immer und überall an die erste Stelle zu stellen. Neulich erzählte mir eine Frau, daß sie ein Elsternnest aus einem Baum entfernt hätte, weil die Vögel auf ihr Auto gekackt hätten. Solche Geschichten lösen eine große Traurigkeit in mir aus. Das Auto mal für die Dauer der Brutperiode woanders parken wäre doch vielleicht auch eine Option gewesen. Ich weiß, daß ich dieser Frau keinen Vorwurf machen kann: sie denkt so wie die meisten Menschen.
In einem Gespräch erwähnte ich, daß ich keine Kleidung aus Seide mehr kaufe, weil ich es abartig finde, daß für deren Herstellung unzählige Seidenraupen getötet werden (Ähnliches gilt für roten Lippenstift und Nagellack). Eine Bekannte sagte: "Aber dafür werden die doch gezüchtet." Ja, macht es das denn besser?
Aber ich muß auch zugeben, daß ich früher Seide getragen und Lippenstift und Nagellack benutzt habe. Bis ich mich näher mit dem Thema befasst habe.
Astrid schreibt in ihrem Blog (http://frauenstolz.blogspot.com/) einen schönen Text über den Winter in Portugal. Sie spricht von Seelenlandschaften. Das Wort spricht mich an: Seelenlandschaften sind Landschaften, in denen ich mich verwurzeln kann. Es hat einige solcher Landschaften in meinem Leben gegeben: der Solling, das Münsterland, die Region um Carnac in der Bretagne, das Périgord, Naxos und Amorgos, der finnische Teil von Lappland und die ostholsteinische Hügellandschaft. Es gibt eine Art Zwiegespräch zwischen mir und einer Landschaft, vielleicht sollte ich das besser Korrespondenz nennen. Ein Wald, ein Hügel, ein Felsen sprechen mich an: manchmal ist es wie ein Erinnern, ein Wiedererkennen.
Alles lebt, alles fühlt, davon bin ich überzeugt.
Marie-Luise - 17. Feb, 22:02