Sonntag, 5. Dezember 2010

Meine Seele...

China-2010-029
...ist noch unterwegs. Heute morgen wachte ich zur gewohnten Zeit auf, hatte aber ein Gefühl von nicht Fisch noch Fleisch.
Katharinas Freund Martin träumt davon, mit der transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok und von da mit dem Schiff nach Japan, ins Land seiner Träume zu fahren. Das ist eine Reisevariante, die dem Körper und der Seele Zeit lässt, sich anzupassen. Flugreisen haben dagegen etwas Brutales.

In China habe ich erfahren, daß den Menschen dort das Bedürfnis, Zeit für sich zu haben, gänzlich fremd und unverständlich ist. Man fühlt sich dort im Rudel, im Familienverband, im Freien unter vielen Menschen am wohlsten. Das Leben findet, wenn das Wetter es nicht ganz unmöglich macht, auf der Straße statt. Kirsten erzählte sogar, daß es im Sommer in Shanghai durchaus üblich ist, daß Menschen in Pyjamas am Bund, auf der großen Uferpromenade mit den schönen Art deco-Hochhäusern, flanieren. Man fühlt sich offensichtlich wohl und entspannt.
Nun gehöre ich ja zu den Menschen, für die es lebensnotwendig ist, jeden Tag Zeit für mich zu haben. Zwei Stunden sind ideal, eine halbe Stunde ist zu wenig. Dieses Bedürfnis hat sich in meiner letzten Ehe als problematisch herausgestellt. Mein Ex-Mann hätte es wohl lieber gehabt, wenn ich mehr Zeit mit ihm verbracht hätte. Und auch einige vergangene Liebhaber hatten Schwierigkeiten mit dieser Eigenheite. Tatsache ist aber, daß ich ganz unruhig und unzufrieden werde, wenn ich diesem Bedürfnis über einen längeren Zeitraum nicht nachgehen kann. Es kann dann auch sein, daß ich in einen inneren Raum gehe und nur noch körperlich anwesend bin.
Die Erfahrungen in China zeigen mir, daß wir so sehr mit der Kultur verbunden sind, in der wir aufwachsen. Wir sind keine isolierten Wesen, die ganz allein ihr Ding machen können. Immer durchdringt uns auch das, was wir an Regeln, Gewohnheiten und Geschichte mitbekommen haben. Ich habe an mir selbst erlebt, daß wir Menschen das Potential zur Veränderung haben. Am liebsten hätte ich ja beides: die chinesische Geselligkeit, das Fisch-im-Wasser-Gefühl inmitten von Menschenmassen und gleichzeitig jeden Tag eine garantierte Zeit von ein oder zwei Stunden, in denen ich für mich bin und keiner was von mir will.
China-2010-043
Zum Thema Privatsphäre und Internet hat Luisa Francia etwas Kluges in ihrem Blog (www.salamandra.de) geschrieben.
Ich glaube, daß es wenig Sinn macht, Geheimnisse zu haben: sie zu hüten ist auf die Dauer anstrengend. Seit ich ziemlich offen mit meinen Pannen und Fehlern umgehe, lebt es sich viel entspannter als früher, als ich auf Biegen und Brechen ein gutes Bild abgeben wollte.
Da fällt mir gleich eine Geschichte ein: in Shanghai nahm ich eine Sitzung bei einem englischen Bodyworker, den Kirsten mir empfohlen hatte, als ich ihr von meinen immer wiederkehrenden Knie- und Schulterbeschwerden erzählt hatte. Sie meinte, er könne mir Übungen zeigen, mit denen ich diese Unpässlichkeiten ein für alle Mal loswürde.
Richard untersuchte mich gründlich, erkundigte sich auch gleich nach meinem linken Knie, das im Moment beschwerdefrei ist, und bearbeitete dann meine Muskelfaszien, das mir Hören und Sehen verging. Ich habe als Säugling wegen einer starken Skoliose im Gipsbett gelegen und davon ein starkes Hohlkreuz und den dazugehörigen Bauch sowie eine schiefe Körperhaltung zurückbehalten. Alles schien mir dennoch gut kompensiert. Aber Richard war der Meinung, ich brauchte dringend Rolfing-Sitzungen, die mich komplett neu ausrichten würden. Dann zeigte er mir noch eine Übung, bei der ich mit der linken Ferse an der Wand stehen sollte. "Salute", sagte er und hob meine linken Arm hoch. Brav hielt ich ihn in dieser Position, während er mit meiner Beinhaltung beschäftigt war. Dann schaute er meinen hochgehobenen Arm an und sagte: "Oh, you bloody Germans." Natürlich hatte er mit Salute gemeint, daß ich meine Hand an die Stirn nehmen sollte. Aber ich treudoofes Schaf hatte nicht gewußt, wohin mit meinem Arm.
Göttin, was war mir das peinlich! Andrerseits finde ich es auch irgendwie zu Lachen.
China-2010-051

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