Enge und Weite

Das Godentreffen auf dem Hohen Meißner ist gut gelaufen. Pia Sonne und ich hatten die Vorbereitung übernommen. Jede machte das, was ihr lag: Pia Sonne die Organisation (Haus mieten, Köchin engagieren und einiges an Praktischem mehr) und ich die Moderation. Im Vorfeld wurde gemailt und telefoniert und Entscheidungen getroffen.
Ich neige nach wie vor zum Perfektionismus und mache mir damit das Leben schwerer als nötig, habe ich während der Vorbereitungszeit mal wieder festgestellt.
Aber jetzt ist alles gut, und wir haben uns gegenseitig versichert, wie gut wir es gemeinsam hingekriegt haben.
Eigentlich sollte meine Moderation mein Abschiedsgeschenk an die Goden sein. Aber während des Treffens wurde mir klar, daß ich mit diesen Frauen die einmalige Chance habe, etwas über Gemeinschaft, Konsensbildung, gegenseitigen Respekt und Wertschätzung lernen kann. Und als wir abends zusammensaßen und erzählten, lachten und tanzten, spürte ich, wie sehr mir einige ans Herz gewachsen sind.
Viel Enge in den letzten Wochen, die durch ein Arbeitspensum entstanden ist, das ich mir selbst auferlegt hatte. Da fand ich mich in der altbekannten Situation wieder, daß ich zwar alles hinkriegte, aber kaum noch Zeit für Kontakte und entspanntes Träumen blieb.
Heute wachte ich vorzeitig aus meinem Schlaf auf wie immer, wenn es etwas Unerledigtes gibt. Ich hörte meiner Inneren Stimme zu: was muss getan werden, was kann liegen bleiben? Muss ich zum Beispiel unbedingt in diesem Jahr noch lernen, mit der neuen Sense umzugehen? Nein, muß ich nicht, kann es aber, wenn Zeit und Wetter günstig sind. Andere Sachen müssen in diesem Herbst hingegen noch getan werden: Kompost aufsetzen, Apfelbäumchen und Johannisbeeren pflanzen.
Nachdem ich das beschlossen hatte, fühlte ich, wie ich mich weitete. Da konnte ich gleich mal wieder ausgiebig mit meinem Sohn telefonieren.
In der letzten Woche waren meine Eltern da, um zu sehen, wie ich jetzt wohne. Es hat ihnen gefallen. Meine Mutter stellte fest, daß sie einen großen Teil meiner Einrichtung kennt und sich ganz vertraut damit fühlt: da sind die Schafwollteppiche, die sie vor vielen Jahren gewebt hat, die Vitrine und der Kleiderschrank meiner Großeltern aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, die Ölbilder meines Vaters, meine alten Puppen.
Als ich morgens Brötchen holte, erfuhr ich vom Titelblatt der Bild-Zeitung, daß Loki Schmidt, die Frau des ehemaligen Bundeskanzlers gestorben ist. Meine Vater reagierte auf die Nachricht nachdenklich: ihn trennen nur fünf Jahre von Loki Schmidt. Ich glaube, er denkt oft an den Tod.
Daß die Schmidts fast 70 Jahre verheiratet waren, finde ich faszinierend. Wenn ich die beiden im Fernsehen oder auf Fotos zusammen gesehen habe, schienen sie mir immer stark aufeinander bezogen. Das finde ich beneidenswert. Natürlich weiß ich nicht, welche Opfer gebracht wurden und wie es wirklich hinter den Schmidtschen Kulissen aussah. Dennoch bleibt der Eindruck, daß da zwei Leute es geschafft haben, lange Jahre durch Dick und Dünn zu gehen.
Wie können Menschen zusammensein, ohne sich zu beschneiden, ohne unfrei zu werden? Das beschäftigt mich nach wie vor.
Sicher hat Ute Recht, wenn sie sagt, daß unser Leben als menschliche Gattung davon abhängt, daß wir Gemeinschaften bilden. Ich stelle mir vor, daß ich am ehesten am Rand einer Gemeinschaft leben könnte: so kann ich ein- und ausgehen, in die Wildnis, ins AlleinSein, wenn es mich dahin zieht, und in die menschlichen Wärmefelder, wenn mir danach ist. Ich verstehe gut, daß man den mittelalterlichen Hexen nachsagt, daß sie immer am Dorfrand gewohnt haben: nicht ganz drin und nicht ganz draußen. Ja, das entspricht mir sehr.
Marie-Luise - 25. Okt, 17:33