Langer Tag

Gestern habe ich meine Kartoffeln geerntet. Die Pflanzen wuchsen in enger Nachbarschaft mit den Ringelblumen, die mich mit ihrer orange-gelben Pracht jedes Mal erfreuen, wenn ich aus der Haustür trete.
Beim heutigen Kräuterkurs haben wir uns mit dem feinstofflichen Wirken des indischen Springkrauts befasst, das hier in der Nähe wächst. Ich sah zu, wie die Hummeln mit ihrem ganzen Körper in die schönen, großen und zarten Blüten schlüpften, und spürte ganz deutlich in meinem eigenen Körper, wie die Pflanze sich dabei fühlte. Irgendeiner hat mal gesagt, Pflanzen wären ekstatische Wesen. Das finde ich sehr treffend formuliert. Die Blüten sind die Geschlechtsorgane der Pflanzen, und sie bieten sie den Insekten (den kleinen Völkern) und dem Wind an.
Wir waren den ganzen Tag draußen. Wenn wir nicht redeten, konnte eine dem Zirpen der Grillen und dem Trompeten der Kraniche zuhören.
Abends unterhielten L. und ich uns über Schlafstörungen in den Wechseljahren. Die Hitzewallungen - nach meiner Überzeugung ein Kundalini-Phänomen - scheinen nachts hochzukochen, was an Unerledigtem in einer schlummert. Dann wird eine wach und fühlt sich schlecht: so ging es auch mir über Jahre immer wieder. Morgens zwischen drei und vier war die Stunde der Wahrheit. Ich wurde wach und wußte, das meine Ehe nicht in Ordnung war und kreiste in aussichtslosen Gedankenschleifen. Irgendwann lernte ich diese mit Hilfe von ziemlich fordernden Yoga-Übungen zu stoppen.
Das nächtliche Aufwachen hörte nach der Trennung völlig auf.
Mir hat mal ein Mann gesagt, daß es doch besser wäre, die verdrängten Dinge da zu lassen, wo sie sind: im Keller. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß das nicht möglich ist - nicht auf lange Sicht. Wenn die Zeit reif ist, öffnen unsere Zellen ihre Gedächtnisspeicher. Die Wechseljahre sind eine Zeit, in der die Leichen aus dem Keller kommen.

Marie-Luise - 21. Aug, 23:01