Dienstag, 11. Mai 2010

Das Wilde

Walpurgis-2010-003
Gern greife ich den Faden auf, den du zu mir herübergesponnen hast, liebste Astrid.
Ich glaube im Gegensatz zu dir nicht, daß das Wilde in uns verschwunden ist. Nichts verschwindet je, davon bin ich überzeugt, und der olle Einstein behauptete ja Ähnliches mit seinem Satz: Energie geht nicht verloren...
Alles ist weiterhin in unseren Zellen gespeichert. Das Bedürfnis nach dem Wilden zeigt sich mir zum Beispiel bei den Frauen, die zu meinen Kräuterkursen kommen: eine große Sehnsucht nach Einfachheit, nach Ursprünglichkeit, nach Wiederanbindung an das Wilde. Da gibt es eine Resonanz mit etwas lange Vergessenen, Schlafenden, meinetwegen auch Verdrängten.
Die Psychologen und Psychiater seit Freud haben zwar das sogenannte Unbewußte analysiert und katalogisiert und viele Bücher darüber geschrieben. Aber letztendlich - das weiß ich aus meiner Arbeit in der Psychiatrie - wissen sie nur ganz wenig über die inneren Triebkräfte der Menschen, die sie behandeln. Denn sie bewegen sich nach wie vor im grauen Feld der Theorie.
Ich sehe es so: das Wilde zeigt sich gelegentlich, wenn einer psychotisch wird oder plötzlich ausrastet. Das sind dann die verdrehten Ausdrucksweisen von Wildheit, die so lange unterm Deckel gehalten wurde.
Aber sie kann sich auch ganz sanft und subtil zeigen, fast unmerklich: wenn eineR anfängt, ihrer inneren Stimme zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Und dann nach und nach immer mehr Vertrauen zur eigenen Wahrnehmung und ins Leben zu finden.
Heute in der Abenddämmerung machte ich einen Spaziergang zu meiner alten Lieblingsbuche. An ihren Stamm gelehnt, dem sanften Flüstern ihrer Blätter lauschend, meiner Wahrnehmung erlaubend, immer weiter zu werden, offen für Überraschungen, geschah ein starkes Empfinden von Über-Ein-Stimmung mit allem um mich herum. Ich kann das nicht näher beschreiben, es war eine außer- oder vorsprachliche Erfahrung. Das würde ich als Wildheit bezeichnen.

In allem, was du über Energiegewinnung schreibst, stimme ich dir zu. Ich hasse die Windkraftanlagen, die hier en masse herumstehen. Nicht nur, daß sie hässlich sind, sie schreddern leider auch Seeadler und andere große Vögel.
Nein, es ist wohl so, wie Vandana Shiva und Maria Mies es eindrucksvoll in ihren Büchern beschreiben: ein gutes Leben zu leben, ohne die Erde zweifach überzubenutzen, wie es zur Zeit geschieht, geht nur, indem wir unseren Lebensstandard gewaltig reduzieren.
Auf die Frage meiner Tochter an meine Mutter, wie die Frauen denn in der Vor-Waschmaschinen-Ära gelebt habe, erzählte sie: Das war nicht schlimm. Einmal im Monat wurde einen ganzen Tag lang nichts anderes getan als gewaschen. Das war's dann aber auch. Möglich war das deshalb, weil die Menschen damals nicht jeden Tag ihre Kleidung wechselten, nicht diese heute weitverbreitete Schweißphobie hatten und gleichzeitig sorgsamer mit ihrer Kleidung umgingen. Als ich 1989 in Portugal war, wusch meine deutsche Gastgeberin zusammen mit einer portugiesischen Bäuerin ihre Wäsche am Fluss. Ging auch, gut sogar!
Ich denke, dahin geht es wieder für uns alle: einfache, handfeste körperliche Arbeit. Dann erledigen sich auch die Fitnessstudios und ähnlicher Schnickschnack von selbst.

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