Mosuo

Danke für die schönen Lilien, Lynn! Sie machen sich gut in der Vase, die mein Sohn mir aus dem Iran mitgebracht hat.
Von Ida habe ich das Buch "Das Paradies ist weiblich" geschenkt bekommen. Der argentinische Journalist Ricardo Coler hat es geschrieben, nachdem er das Volk der Mosuo in der chinesischen Provinz Yunnan besucht hat. Über die Mosuo habe ich bereits bei Alma mater von Heide Göttner-Abendroth und Iris Bubenick-Bauer einiges gehört und auf dem Mutter-Gipfel im Sommer 2008 einen Mosuo-Mann erlebt.
Ricardo Coler beschreibt, wie die kleinen Kinder von der ganzen Familie betreut werden. Mit Familie sind die Blutsverwandten gemeint, die alle unter einem Dach leben. Biologische Vaterschaft interessiert niemanden, es gibt sozusagen eine soziale Vaterschaft, die durch die Brüder der Mutter und sonstige männliche Bewohner eines Haushaltes ausgeübt wird. Eine Mosuo-Mutter bleibt ungefähr ein Jahr lang mit ihrem neugeborenen Kind zusammen und geht dann wieder arbeiten.
Beim Lesen dieser Passage erinnerte ich mich mit Trauer an mein erstes Jahr mit meinem Sohn. Wie sehr habe ich mich auf dieses Kind gefreut, wie sehr wollte ich es haben, und wie schwer wurde es dann, Mutter zu sein. Ich wollte meinen Sohn stillen, was Mitte der Siebziger eher die Ausnahme war. Um alles gut und richtig zu machen, las ich Bücher über Kindererziehung und den Umgang mit Säuglingen, geschrieben von männlichen Kinderärzten und Gynäkologen. Es gab damals noch nichts aus Frauenhand in meiner Umgebung! Dazu kam, daß ich zu der Zeit nicht darin geübt war, meinen eigenen Instinkten zu trauen und mich eher auf Fachleute verlassen habe. Nun, die Empfehlung dieser Bücher war, daß ein Säugling nur fünfmal am Tag gestillt werden sollte, damit er nicht verwöhnt wird. Das reichte natürlich nicht, wie sich schnell herausstellte. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Das Resultat war, daß ich mein Kind in den Nächten mit furchtbar schlechtem Gewissen habe schreien lassen - ich wollte ja alles richtig machen - und tagsüber habe ich ihn fünfmal gestillt, nicht nach seinen Bedürfnissen, sondern nach Plan.
Das klingt heute grotesk, und als 1980 meine Tochter geboren wurde, habe ich mich nach ihren und den Bedürfnissen meines Körpers gerichtet. Und ich lernte immer mehr, mich nicht mehr auf Experten sondern auf mich zu verlassen. Darin bin ich mittlerweile, was Gesundheit, Ernährung und Pflege angeht, absolut kompromisslos geworden.
Traurig war auch, daß das Muttersein für mich mit Isolation und völliger Überlastung verbunden war. Mein damaliger Ehemann kam nur am Wochende nach Hause und erwartete von mir, daß ich ihn mit guter Laune, Sex und keinerlei Ansprüchen für die sicher harten Erfahrungen bei der Bundeswehr entschädige. Ich dagegen hatte die ganze Woche fast nur mit meinem kleinen Sohn zu tun gehabt, saß ohne Auto und ohne Telefon fest in Hiltrup bei Münster und wollte am Wochende ein wenig Entlastung bei der Hausarbeit, beim Kochen und bei der Kinderbetreuung. Es gab häufig ganz furchtbaren Streit zwischen uns, und im Grunde war unser Beschluss, ein gemeinsames Kind zu bekommen, der Anfang vom Ende unserer Beziehung.
Solche Geschichten höre ich oft von jungen Paaren mit kleinen Kindern. Neulich bekam ich einen "Stern" in die Finger und las einen Artikel über die "neuen" Väter, die trotz Ursula von der Leyen immer noch wenig motiviert sind, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Ein Vater äußerte sich in etwa so: Er habe festgestellt, daß es nicht sein Ding sei, sich um seine kleinen Kinder zu kümmern, Männer seien eben Jäger und müßten nach draußen.
Was für ein Dumpfbackenspruch!
Die Vorstellung, daß sich ein ganzer Clan um die Kleinen kümmert, gefällt mir gut. Und ganz sicher geht es auch den Kindern besser mit wechselnden Bezugspersonen, die ausgeruht und gut gelaunt sind und alle etwas anderes zu bieten haben.
Ich denke viel über die Kleinfamilie nach. Sie hat sich eindeutig nicht bewährt. Es mag gelegentlich vorkommen, daß es Menschen darin gut geht, aber das scheint mir doch sehr die Ausnahme zu sein. Sie ist ja auch eine patriarchale Erfindung und wird vielleicht den Bedürfnissen der Männer gerecht, und auch das wage ich mittlerweile zu bezweifeln.
Noch bis 1977 durfte eine Ehefrau nur berufstätig sein, wenn ihr Mann zustimmte, und er konnte ohne ihr Einverständnis auch ihren Job wieder kündigen, wenn er der Meinung war, daß sie die Hausarbeit vernachlässigte. Ich bin in der Klinik noch gefragt worden, ob mein Mann einverstanden mit meiner Berufstätigkeit ist und wer ihn denn jetzt versorgt.
Gut, das hat sich mittlerweile dank uns Feministinnen geändert. Und dennoch liegt so vieles im Argen: zwei Menschen tun sich in Liebe zusammen und wollen diesen Zustand festhalten. Ob sie nun heiraten oder nicht, in dem Moment, wo sie ihren Besitz und ihren Wohnsitz zusammenlegen, verabschiedet sich peu à peu die Freiwilligkeit aus ihrer Beziehung. Die gegenseitige Versorgung mit Nahrung, Sex, Zuwendung wird mehr oder minder subtil eingefordert (heißt es nicht heute noch in irgendeinem Gesetz "eheliche Pflichten"?) und hört auf, ein Geschenk an den anderen und sich selbst zu sein. Da bleiben Lust und Liebe auf der Strecke.
Ich weiß nicht, wie ich in Zukunft meine Beziehungen zu Männern gestalten will, aber eine Besuchsehe, wie sie die matriarchalen Mosuo praktizieren, finde ich durchaus reizvoll.
Marie-Luise - 28. Nov, 23:32
