Samstag, 4. März 2017

Lassenskraft

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Meine Freundin I. brachte mir einen Artikel aus der TAZ mit. In ihm ging es um einen Großhändler, der in Spanien eine riesige Finca besitzt, die er permakulturell bewirtschaften lässt. Die Zitrusfrüchte, Avocados und das Gemüse aus diesem Anbau werden in allen Real-Filialen als Permakultur-Ware deklariert und verkauft. Real kann damit ganz groß auftreten, weil grundsätzlich Permakultur ein viel radikaleres Konzept hat als Bioanbau.
Als ich den Artikel gelesen habe, wurde mir schlecht. Mag ja sein, daß dieser Unternehmer in Spanien sein Land nach permakulturellen Prinzipien gestaltet hat, also die typischen Mischkulturen mit ausdauernden Pflanzen, Waldgarten etc. Aber er lässt dort arbeiten und bezahlt nach eigenen Worten seine Arbeiter zwar besser als sonst in der Biobranche üblich; daß er aber in großem Maßstab seine Produkte mit LKW nach Deutschland karrt, hat mit Permakultur-Prinzipien nichts mehr zu tun. Und daß die Früchte bei Real genauso in Plastik eingeschweißt sind wie die konventionell gezogenen, ist in meinen Augen das Letzte. Das Allerletzte ist, daß dieser Großunternehmer in Deutschland einen fetten Schlitten für satte 70.000 Euro fährt. Alles klar?
Dieses Beispiel zeigt ein weiteres Mal, daß der Kapitalismus sich bis jetzt noch fast jede Bewegung, die eigentlich aus ihm ausbrechen wollte, zu eigen gemacht hat. So die Biobranche, die mittlerweile auch mit riesigen Monokulturen und Massentierhaltung arbeitet.
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Die Zeitschrift Oya, die ich hier gern und oft erwähne, macht zur Zeit einen Transformationsprozess durch, der genau diesen Ausgangspunkt hat, nämlich die Feststellung, daß wir alle, ob wir wollen oder nicht, der Megamaschine (so nennen sie das globale kapitalistische System) dienen. Was also tun?
In einer der letzen Ausgaben kam auf diese Frage in einem imaginierten Dialog mit der Mystikerin und Kräuterkundigen Hildegard von Bingen von ihr die Antwort: "Geh nach Hause und kümmere dich um die Bienen." Dieser Satz hat bei mir und offensichtlich bei vielen Leser*innen der Oya wie ein Blitz eingeschlagen.
Für mich heißt er: Gehe nach Hause und kümmere dich um das, was dir nahe ist - dein Haus, dein Garten, die Menschen und die mehr-als-menschlichen Wesenheiten in deinem persönlichen Feld.
Ein zweites schönes Wort, auch aus der Oya, ist die "Lassenskraft". Ausgehend von der Beobachtung, daß der Zustand unserer Gattung und derer, die wir mit unserem Lebensstil mit ins Verderben reißen, durch unser Tun, unser ständiges Eingreifen, vorgebliches Optimieren der natürlichen Ordnung und Vernichten der natürlichen Unordnung hervorgerufen und weiterhin aufrecht erhalten wird, geht es darum zu lassen.
Da kommen Fragen auf: Was kann ich lassen? Was brauche ich wirklich?
Und da stelle ich fest, daß das Lassen oftmals ein aktiver Prozess ist. Es gehört Kraft dazu, Lassenskraft, aus dem ständigen Tun und Machen auszusteigen, Fünfe gerade sein zu lassen. Für mich bedeutet das z. B., daß ich die Bienen noch mehr sich selbst überlassen werde, noch weniger eingreifen will, ihnen noch mehr zutrauen will, daß sie ihre eigenen Wege finden, mit der Varroamilbe fertig zu werden.
Mein tägliches Ritual, das ich viele Jahre praktiziert habe und das mich manchmal in völlig neue Bewusstseinräume geführt hat, ist seit einiger Zeit zu einer eher lästigen Pflichterfüllung geworden. Lange bin ich über dieses unwohle Gefühl hinweg gegangen, jetzt habe ich mich entschieden, das Ritual zu lassen. Wenn ich es nicht mehr gern mache, hat es seinen Sinn verloren.
Also nichts tun stattdessen, in die Traumzeit gehen, den Raum einfach offen halten für das, was vielleicht geschehen möchte.
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C. Araxe - 5. Mär, 20:29

Im unmittelbaren Umfeld kann man sicher einiges bewirken und erreichen. Aber ist dadurch wirklich eine Änderung im globalen Kontext möglich?

katharina (Gast) - 6. Mär, 12:50

genau dieses spannungsfeld - zuhause (bienen-metapher) oder global - ist es, was z.b. auch die Oya-Leute spüren und wozu sie nach neuen wegen suchen.

ich denke, ohne sich "um die bienen zu kümmern" geht es nicht, wir alle brauchen wurzeln (nahrung, rückzugsorte, muße, erholung etc.). sich angesichts von landgrabbing, verschmutzung und co. überhaupt noch drum kümmern zu können, zeigt auf der anderen Seite auf, dass es umgekehrt mit einem reinen biedermeierlichen rückzug ins private auch nicht getan sein kann.

was also dann? erstmal lassen und innehalten. überlegen, was wirklich der megamaschine dient und was uns allen (welt).

katharina (Gast) - 6. Mär, 12:54

C. Araxe, deine Frage stellt sich mir auch. einerseits hoffe ich, dass "die kleinen dinge" großes anstoßen, andererseits fühlt es sich so oft so ohn-mächtig an.

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