Sonntag, 22. Mai 2016

Glücklich

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Gestern war ich beim Tag der offenen Tür unseres neuen Raums in Selent, in dem wir die Geflüchteten unterrichten, die Krabbelstube für die Kleinkinder stattfindet und wir unsere Treffen abhalten.
Ich hatte in der Nacht höchstens drei Stunden geschlafen, war dann zum Frühdienst gefahren und wollte eigentlich lieber ein Mittagsschläfchen halten. Na ja, ich gehe für eine Stunde, dachte ich mir. Daraus wurden dann mehr als zwei. Es war einfach zu schön. Das Wetter war großartig, das Buffet mit diversen selbstgebackenen Kuchen, Teigtaschen und anderen Leckereien verlockend und überraschend viele Leute da. Ich saß mit anderen Sprachpaten und einigen meiner Schüler draußen, bekam einen Löffel in die Hand gedrückt und musste Kuchen vom Teller eines "meiner" Afghanen probieren. Es wurden Fotos gemacht, viel gelacht, es gab herzliche Umarmungen, die Kinder tobten über den Platz, Pfadfinder waren da, der Pfarrer überreichte einen Blumenstrauß. Dazu gab es gute und interessante Gespräche mit meinen "Kollegen".
Ich unterrichte ja nur einmal in der Woche für eineinhalb Stunden Deutsch. Aber da gibt es Leute, die soviel Einsatz zeigen und dabei solch eine Begeisterung an den Tag legen - ich finde, daß Selent das ganz toll macht mit den Flüchtlingen und freue mich, daß ich Teil dieser Sache bin. Ich kann nur sagen: es macht mich glücklich, mit diesen Menschen zu arbeiten und die Geflüchteten dabei zu unterstützen hier gut zu leben. Ich ging ganz aufgeputscht vor Freude nach Hause.

Abends telefonierte ich mit meiner Tochter. Sie sagte, sie habe es früher immer doof gefunden Deutsche zu sein. Das Gefühl kenne ich sehr gut. Im Ausland wollte ich nie als Deutsche auffallen. Ich fand den offen gezeigten Stolz vieler Franzosen auf ihr Land sehr befremdlich.
Etwas hat sich geändert: ich werde zwar sicher nie stolz auf meine Nationalität sein (warum denn auch?), aber ich freue mich einfach ungemein, wieviel Herz und Hilfsbereitschaft viele meiner Landsleute angesichts der Flüchtlingsströme zeigen. Da findet Heilung unseres kollektiven Traumas als Tätervolk statt.
In der neuen Oya steht übrigens ein ziemlich guter Artikel von Ulrike Guérot und Robert Menasse: Eine gemeinsame Welt. Die beiden lehnen die Forderung nach Integration der Geflüchteten sehr schlüssig ab und schlagen stattdessen vor, ihnen zu erlauben, ihre eigene Kultur in unserer zu leben, also Neu-Damaskus, Neu-Kundus, Neu-Erbil in Deutschland zu akzeptieren. Das ist Bio-Diversität! Nach drei Generationen wird sich alles wieder neu durchmischt haben.
Ich glaube, sie haben Recht: ich habe auch gar keine Lust, die Afghanen und Kurdinnen, die ich unterrichte, auf die deutsche "Leitkultur" (überhaupt, was soll das denn sein?) einzunorden. Ich finde ihre Andersartigkeit interessant, ich mag ihre Küche, ich möchte mehr über ihre Kultur, ihre Mythen erfahren. Vielleicht lerne ich auch irgendwann mal Farsi oder Arabisch, ich liebe schließlich Sprachen.
Und unter dieser Ebene der Andersartigkeit sind wir doch ziemlich ähnlich: wir gehören schließlich zur Menschenfamilie.
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