Dienstag, 8. August 2017

Land der ungemähten Wiesen II

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Vorletzte Nacht konnte ich nicht schlafen. Nachdem ich mich einige Zeit im Bett hin und her gedreht hatte, stand ich auf und setzte mich in den Garten. Der Mond schien so hell, daß es blendete. Ich hörte das Zirpen der Grillen, den Ruf eines Käuzchens und andere Tierstimmen, die ich nicht zuordnen konnte. Und ich hörte das Maschinengeräusch der Mähdrescher, die die Rapsfelder abernten. Die fahren zur Zeit die ganze Nacht durch. Ich wurde traurig, weil mir wieder auffiel, daß Menschen sich immer mehr von der Natur entfremden, der inneren und der äußeren, den physiologischen Rhythmen, dem Pulsieren von Aktivität und Ruhe. Überall ist jederzeit Lärm, auch auf dem Lande: Rasenmäher, Motorsensen, Kreissägen, Motorsägen, Laubbläser - sie alle machen einen Höllenlärm. Und in meinem idyllischen Dorf halten sich nur einige wenige an die vom Ordnungsamt vorgeschriebenen Ruhezeiten; mittlerweile höre ich oft auch sonntags und abends um halb zehn die Rasenmäher. Ich scheine die einzige zu sein, die davon tierisch genervt ist. Manchmal sage ich es den Leuten, dann kommen Sätze wie: "Es ist nur ausnahmsweise, da ich nur heute Zeit habe." Wenn fünf Menschen "ausnahmsweise" an fünf Sonntagen mähen, gibt es also fünf Wochen lang keinen einzigen ruhigen Tag.
Gruselig finde ich, daß unsere Gattung sich das Recht rausnimmt, allen anderen Lebewesen das Leben schwer oder sogar unmöglich zu machen. Der Leitsatz des alten Testaments "Macht euch die Erde untertan" wird mit Macht umgesetzt. Wer einen Garten hat, gestaltet ihn nach seinen/ihren Vorstellungen und mit der unausgesprochenen Haltung: Alles ist meins.
Die Angst vor dem Fremden, Anderen findet sich nicht nur im Umgang mit Geflüchteten, sondern vor der eigenen Haustür. Alle Tiere, die nicht niedlich sind und die Appetit auf dieselben Pflanzen wie wir haben, werden vernichtet, vergrämt, vertrieben, mit Zäunen und anderen Maßnahmen abgewehrt. Völlig unproblematisch lassen sich im Landhandel die übelsten Gifte kaufen. Jetzt gibt es große Aufregung wegen der Fipronil-verseuchten Eier. Aber wir alle arbeiten doch mit unserem Lebensstil an der Vergiftung der Erde und Arten mit. Daß Plastikmüll tödlich für die vielen Lebewesen in den Ozeanen ist, ist mittlerweile endlich in die Mainstream-Medien gelangt. Und zugleich wird z. B. in den Krankenhäusern eine unglaubliche Menge Plastik in Form von Einmalmaterial entsorgt. Aus hygienischen Gründen sind wir mittlerweile gezwungen, Medikamente täglich in neue Dispenser zu geben, die am Ende des Tages in den Müll müssen. Als ich in den 70er Jahren in der Krankenpflege anfing, gab es noch keine Einmalhandschuhe, die Medikamente wurden in kleine Glasbecher getan, die gespült und immer wieder benutzt wurden. Es gab Sterilisatoren, in denen Instrumente keimfrei gemacht wurden. Das gibt es in dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, gar nicht mehr. Das heißt: sogar die Scheren und Pinzetten sind aus Plastik und müssen nach einmaligem Gebrauch weggeschmissen werden.
Judith Jannberg aka Gerlinde Schilcher hat vor langer Zeit mal geschrieben, sie wolle Spuren hinterlassen. Damals sprach sie mir sehr aus der Seele. Mittlerweile glaube ich, es wäre gut, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen und sich organisch der Landschaft hinzugeben, in dem Bewusstsein, daß sich alles in einem ewigen spiraligen Tanz der Verwandlung bewegt.
Wenn ich den Grillen im Garten zuhöre, die Starenschwärme bewundere, die flüchtige Formationen bilden, um dann zu Hunderten auf der Wiese zu landen und mit wackelndem Gang nach Futter suchen, dann denke ich, daß sie alle dasselbe Recht wie ich haben hier zu leben. Wir teilen einen gemeinsamen Bereich: mein Garten ist auch der Garten der Grillen, Schnecken, Rehe, Ringelnattern, Vögel, Blattläuse, Käfer, Würmer und der wilden Pflanzen, die manche Unkraut nennen.
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